Editorial 06/12: Lebensmittelvielfalt – der Me-too-Code

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler
HerausgeberNachdem bis Anfang der 1940er Jahre alle Nährstoffe in ihrer Essenzialität bekannt waren, ging man an die Erforschung ihrer Funktionalität. In beiden Bereichen gab es Irrwege, und auch heute bestehen noch Unsicherheiten hinsichtlich der Versorgungslage und optimalen Zufuhr einzelner Nährstoffe.

Um die bis dahin noch unerforschten, gesundheitlichen Wirkungen vieler Lebensmittel gezielt zu nutzen, wurden ab den 1990er Jahren „funktionelle Lebensmittel“ auf den Markt gebracht. Damit durchzog eine Welle der Euphorie Wissenschaft und Praxis und man hoffte, die Welt gesünder machen zu können. Aber auch auf diesem Forschungsgebiet stieß man an Grenzen, sodass sich bisher viele Hoffnungen nicht erfüllten.

Insgesamt wächst das Lebensmittelangebot unaufhörlich. Durch die Errungenschaften der Lebensmitteltechnologie kann man fast unendlich viel Neues machen – und macht dies auch. Wenn ein Produkt Erfolg hat, machen es bald viele nach – nach dem bekannten Me-too-Prinzip. Und da heute fast jedes Produkt überall hin geliefert wird, hat sich der Markt für Lebensmittel in ungeahnter Weise aufgebläht.

So präsentiert z. B. das Mitteilungsblatt eines unserer Großmärkte praktisch jede Woche eine neue Käsesorte. Auch die „Deutsche Brotvielfalt“ wird viel gerühmt, obwohl hier – unter fantasievollen Namen – viel Identisches zu finden ist. Komplizierte Aussagen zu immer mehr Inhaltsstoffen bei immenser Produktvielfalt – dies alles führte und führt zu Verunsicherung beim Verbraucher. Kommt hinzu, dass sich die Medien des Themas angenommen haben, teils um aufzuklären, aber leider auch, um aus dem Chaos Unterhaltung mit Eventcharakter zu machen.

Die Wissenschaft – nicht gewohnt, klar, einfach und mit einer Stimme zu reden – hat ihre Vormachtstellung verloren und das Terrain der Ernährungsinformation z. B. Fernseh-Köchen überlassen (müssen). Was können wir dagegen tun? Wir können versuchen, Ordnung in das Chaos zu bringen, z. B. durch Erfassung, Kategorisierung und klare Benennung. Die EFSA zeigt mit den Claims für Functional Food einen möglichen Weg, indem sie Lebensmittelherstellern nur noch solche produktbezogenen Aussagen erlaubt, die auf Basis solider Studien gesichert sind.

Vielleicht könnte man davon lernen und dies bei allen verarbeiteten Lebensmitteln anwenden. Das Ziel wäre eine einfache und verständliche Lebensmittelkennzeichnung und -aufklärung, aber dahin ist der Weg noch weit. Bis dahin müssen wir uns weiterhin das Richtige herauspicken und versuchen, Klienten dahingehend zu befähigen, dies auch zu tun.

Das wünscht Ihnen

Ihr Helmut Erbersdobler

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