Zu guter Letzt: Sommer(loch)wein

Im April dieses Jahres berichtete die Pressestelle der Purdue University über Untersuchungen, wonach Piceatannol, ein Analog und Metabolit von Resveratrol (beide kommen in Rotwein vor) die Adipogenese in einer frühen Phase der Differenzierung der Fettzellen hemmt. Obwohl bisher nur Zellkultur-Versuche vorlagen1, löste diese Meldung ein beachtliches Medienecho aus und erreichte jetzt als (witzige und gut geschriebene) Glosse das August-Heft der Zeitschrift Essen und Trinken.2

Ich finde die Arbeit durchaus beachtenswert, zumal sie in einer sehr angesehenen Zeitschrift publiziert wurde, und halte generell das Resveratrol und seine Metabolite für hoffnungsreiche bioaktive Pflanzeninhaltsstoffe. Auf der anderen Seite war der Medien-Hype angesichts der Tatsache, dass noch keine Versuche an Menschen vorliegen m. E. doch recht unangemessen. Ein großes Problem bei derartigen Substanzen ist ja immer die Bioverfügbarkeit, die durch schlechte Absorption oder/und rasche „Entgiftung“ (z. B. durch Glucuronidierung) gering sein kann. In der Zellkultur dagegen werden die Zellen direkt mit der Wirksubstanz konfrontiert.

Der ganze Vorgang zeigt erneut, dass die Medien den schnellen (Aufmerksamkeits-) Erfolg suchen, ohne an die Folgen zu denken. Bei den Lesern werden unberechtigte Hoffnungen geweckt, die (Wein-)Wirtschaft greift den Ball gierig auf und findige Populärwissenschaftler oder Wissenschaftsjournalisten produzieren damit ggf. eine neue Diät oder mindestens ein passendes Diätbuch. Und wenn letztere Glück haben, dann wirkt das Ganze sogar – nicht weil Wirksamkeit vorhanden ist, sondern weil die Nebenbedingungen so gestaltet sind, dass auf jeden Fall ein Effekt eintritt.

Die Wissenschaftler sind allerdings vielfach auch schuld, denn sie formulieren ihre Ergebnisse häufig spektakulärer als es dem Ergebnis entspricht. Der finanzielle Erfolg durch Grants, Projektgelder etc. ist es, der sie korrumpiert. Die Presseabteilungen der Universitäten toppen dies noch durch markige Formulierungen und vorgefertigte Textbausteine, die die Journalisten gerne aufgreifen. Noch lasse ich mich nicht von meinem Sommerwein abbringen, einem duftigen Rosé, der sicher nur wenig Piceatannol enthält.

Genießen auch Sie ihn im oder nach dem Urlaub an spätsommerlichen Abenden

Ihr Helmut Erbersdobler

Den Artikel finden Sie in Ernährungs Umschau 09/12 auf Seite 552.

1Yeon KWON J et al. (2012) Piceatannol, Natural Polyphenolic Stilbene, Inhibits Adipogenesis via Modulation of Mitotic Clonal Expansion and Insulin Receptor-dependent Insulin Signaling in Early Phase of Differentiation. J Biol Chem 287: 11566– 11578 2FRANK R (2012) Rotweintrinker kriegen ihr Fett weg. Essen und Trinken 8: 76

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