Editorial 10/05: Besser ernährt dank Mikrochip?

Prof.Dr.Helmut ErbersdoblerComputer werden schon lange für die Ermittlung der Nährstoffzufuhr, die Auswertung von Ernährungsprotokollen und deren Verknüpfung mit Daten aus der Patientenbetreuung genutzt. Der Beitrag in dieser Ausgabe  zeigt, dass es auch mit relativ einfacher Soft- und Hardware gelingt, Maßnahmen zur Gewichtsreduktion im Rahmen eines Selbsthilfeprogramms effizient zu unterstützen.

Aber trotzdem sind wir in der menschlichen Ernährung noch weit entfernt von der Optimierung der Ernährung mittels Computer. Anders in der Tierernährung: Hier nutzt man schon lange die lineare Programmierung, um die ernährungsphysiologisch beste Kombination von Futtermittelbestandteilen zu erhalten. Zwar ist dies auch für den Menschen mittels PC-Programmen möglich, aber bei der Umsetzung einer solchen Diät in die Praxis scheitern wir in aller Regel. Wer lässt sich schon über einen längeren Zeitraum sein Essen und Trinken auf Gramm und Milliliter genau von einem Computerprogramm vorschreiben?

Da ist es vermutlich sinnvoller, nachträglich die Aufnahme an Energie und einigen kritischen Nährstoffen zu berechnen und bei starken Abweichungen von den Zielgrößen mit den nächsten Mahlzeiten gegenzusteuern. Zumindest für die Energieaufnahme und die Zufuhr von z. B. gesättigten Fettsäuren oder rasch verwertbaren Kohlenhydraten müsste dies gelingen.

Inzwischen gibt es durchaus Software, mit der eine vorausschauende, individuelle Planung der Nährstoffversorgung möglich ist. Problematisch ist derzeit noch die Datenbasis, denn eine alle Wünsche befriedigende Datenbank mit den Nährstoffgehalten aller Lebensmittel gibt es bisher nicht. Es ist zu hoffen, dass diese durch die weitere Entwicklung des BLS geschaffen wird. Noch nicht geklärt ist darüber hinaus, welche Nährstoffe in entsprechenden Programmen für die allgemeine Bevölkerung vorrangig berücksichtigt werden müssen.

Dies sollte in einem wissenschaftlichen Konsensus erarbeitet und festgelegt werden. Hierbei könnte das in der September-Ausgabe der Ernährungs-Umschau beschriebene System der Nährwertprofile hilfreich sein, möglicherweise in einer modifizierten und dem jeweiligen Einsatzzweck angepassten Form. Und nicht zuletzt müsste nicht nur der Ernährungsberater bzw. Arzt, sondern auch der Patient Soft- und Hardware verstehen und verwenden. Dies ist je nach sozioökonomischen Verhältnissen natürlich differenziert zu betrachten.

Selbst wenn dies alles realisiert ist, bleibt dem Anwender (und seinem Betreuer) das umständliche „Füttern“ des Computers mit den entsprechenden Daten nicht erspart. Dies gilt besonders, wenn nicht nur solche Lebensmittel verzehrt werden, deren Nährstoffdaten schon im jeweiligen Programm enthalten sind. Bei be- und verarbeiteten Lebensmitteln fehlen häufig relevante Nährstoffangaben, so dass man auf indirektes Berechnen an Hand der ausgewiesenen Zutaten und auf Schätzungen angewiesen ist. Dann bleibt jede Optimierung Stückwerk.

Ideal wäre es, wenn Informationen, die sich bei ver- und bearbeiteten Lebensmitteln auf der Packung finden, direkt für die Berechung und Auswertung von Ernährungsprotokollen etc. genutzt werden könnten. Was heute eher utopisch anmutet, lässt sich vermutlich schon bald realisieren. Denn über kurz oder lang wird der bisher übliche Strichcode durch einen elektronische Identifizier-Code für die „Auspreisung“ ersetzt werden.

Der hierfür entwickelte Chip hat nicht nur ausreichend Platz für die Daten zur Preisgestaltung oder technische Hinweise (die z. B. ein intelligenter Mikrowellenherd automatisch einliest und danach Wattzahl und Erhitzungsdauer steuert), sondern auch für nährwertbezogene Angaben. Diese können dann in entsprechenden Empfängerstationen auf die individuellen Bedürfnisse eines Verbrauchers bezogen werden bzw. in entsprechende Programme einfließen. Und weitere Entwicklungen sind denkbar: So könnte ein programmierter Receiver mit Display, in den Einkaufswagen gehängt, den Einkauf gezielt leiten. Der Phantasie auf diesem Gebiet sind im positiven wie im negativen – Orwell lässt grüßen – Sinne keine Grenzen gesetzt.

Ihr

Helmut Erbersdobler

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