Verbraucherschutz: Kritik an Marketing für Kinderlebensmittel

Trotz der seit 2007 bestehenden freiwilligen Selbstbeschränkung der Lebensmittelindustrie beim Kindermarketing bewerben die Hersteller in Deutschland weiterhin fast ausschließlich ernährungsphysiologisch wenig ausgewogene Produkte gezielt an Kinder. Das legt eine Studie von foodwatch nahe, die die Verbraucherorganisation gemeinsam mit der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG), der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe am 24. August vorstellte.

„Die sogenannte Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie für die Kinderlebensmittelwerbung ist eine Mogelpackung und täuscht den Verbraucher. Die meisten ‚Kinderlebensmittel‘ sind keine Lebensmittel, sondern schlichtweg Süßigkeiten“, erklärte Dr. Dietrich Garlichs, DDG-Geschäftsführer und Sprecher der Deutschen Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten (DANK), hierzu.

90 % der untersuchten Lebensmittel nicht an Kinder vermarkten
foodwatch wollte in seiner Studie überprüfen, ob die Selbstverpflichtungserklärung nach dem EU-Pledge (• Kasten) dazu geführt hat, dass nur noch ausgewogene Lebensmittel nach WHO-Vorgaben an Kinder vermarktet werden. Dazu wurde das Marketing der EU-Pledge- Unterzeichnerfirmen in Deutschland untersucht: Die Nährstoffzusammensetzung aller Produkte, die sich in Marketing oder Werbung direkt an Kinder richten, wurde mit den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation von 2015 an ernährungsphysiologisch ausgewogene Lebensmittel abgeglichen. Das Ergebnis: Von insgesamt 281 Produkten im Test erfüllen nur 29 die WHO-Kriterien. 90 % (252) der Lebensmittel sollten nach Meinung der Gesundheitsexperten hingegen nicht an Kinder vermarktet werden.

Kommentar der Redaktion
(scs) Inwieweit die Firmen die freiwillige Selbstverpflichtung eingehalten haben, wird durch die Ergebnisse der foodwatch-Studie leider nicht klar, weil die Nährstoffgehalte mit den strengeren WHO-Vorgaben verglichen wurden. Offengelegt wird jedoch, dass fast alle gezielt für Kinder beworbenen Lebensmittel zur Gruppe derer gehören, die eher zu einem Überkonsum von Energie, Fett, Zucker etc. führen – eine im Sinne der Gesundheitsförderung ungünstige Sachlage, die von den Herausgebern der Studie zu Recht kritisiert wird.

Quelle: Gemeinsame Pressemeldung von Deutscher Adipositas Gesellschaft, Deutscher Diabetes Gesellschaft, diabetesDE - Deutsche Diabetes Hilfe und foodwatch vom 24.08.2015. Thema: Kinderernährung. 281 Kinderlebensmittel im Test.



Freiwillige Selbstverpflichtung vs. WHO Nährstoff-Profiling

Im Rahmen einer Initiative der Europäischen Union sicherten zahlreiche Lebensmittelunternehmen 2007 in einer Selbstverpflichtung (dem so genannten „EU-Pledge“; www.eu-pledge.eu) zu, Regeln für an Kinder gerichtetes Marketing einzuhalten. Unter dem Motto „We will change our food advertising to children“ sollten nur noch Lebensmittel, die bestimmte Nährwertanforderungen erfüllen, an Kinder unter zwölf Jahren beworben werden. Das WHO-Regionalbüro für Europa hat nun Anfang 2015 neuere Vorgaben dafür definiert, welche Produkte für eine Vermarktung an Kinder freigegeben sein sollten und welche nicht. Dafür wird das nutrient profile model eingesetzt. Das so genannte Nährstoff-Profiling grenzt Lebensmittel und Getränke, die eher zu einer gesundheitsförderlichen Ernährungsweise gehören, von solchen ab, die eher zu einem Überkonsum von Kalorien, gesättigten Fetten, Transfetten, Zucker oder Salz führen. Es wurde entwickelt, um durch eine Kategorisierung von Lebensmitteln das Marketing an Kinder einschränken zu können [1].

Die Vorgaben des WHO Nährstoff-Profilings sind strenger als die des „EU-Pledge“ – letztere werden von den Fachgesellschaften z. T. als zu niedrig angesehen, u. a. aus folgenden Gründen:
- Bestimmte Warengruppen wie Speiseeis und Fruchtsäfte sind im EU-Pledge von der Marketingbeschränkung ausgenommen, bei der WHO gehören sie dagegen zu den Lebensmittelgruppen, die überhaupt nicht beworben werden sollten.
- In einigen der zum Marketing zugelassenen Lebensmittel sind im EU-Pledge höhere Zucker-, Salz- und Energiegehalte erlaubt (z. B. 30 g Zucker/100 g bei Frühstücksflocken im Vergleich zu 15 g/100 g bei den WHO/Europa-Vorgaben).
- Marketinginstrumente wie Comicfiguren auf Verpackungen sind im EU-Pledge von der Beschränkung ausgenommen [1, 2].



Literatur:
1. Deutsche Adipositas-Gesellschaft, Deutsche Diabetes Gesellschaft, DiabetesDE Deutsche Diabeteshilfe (Hg). Hintergrundinformation: „Nährstoff-Profiling“: Neue Methode der WHO Europa entlarvt ungesunde Produkte. URL: www.foodwatch.org/fileadmin/Themen/Kinderlebensmittel/Dokumente/2015-08-24_DAG_DDG_ dDE_WHO_Naehrwertprofilmodell_Hintergrundinfo.pdf  Zugriff 26.08.15
2. foodwatch e. V. foodwatch-Studie Kindermarketing für Lebensmittel. Freiwillige Selbstverpflichtung der Lebensmittelwirtschaft („EU Pledge“) auf dem Prüfstand. URL: www.foodwatch.org/fileadmin/Themen/Kinderlebensmittel/Dokumente/2015-08-24_foodwatch-Studie_Kindermarketing_EU_Pledge_auf_dem_Pruefstand_final_WEB.pdf  Zugriff 26.08.15



Den vollständigen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 10/15 auf Seite M566.

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