Editorial 11/14: Risikokommunikation

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler,
Herausgeber

Mai des letzten Jahres wurden v. a. in Italien nahezu 1 300 Erkrankungen von Hepatitis A durch tiefgefrorene Beerenmischungen übertragen. Auch in einigen anderen europäischen Ländern einschließlich Deutschland traten Erkrankungen (n = 331) auf. Die Dunkelziffer an Erkrankungen war vermutlich sehr hoch. Fast alle Erkrankungen ließen sich auf Kontakte mit Norditalien (Reisen etc.) zurückführen. Die Spuren verliefen zunächst im Sande, aber einige Hinweise deuten auf Bulgarien und Polen und v. a. die Früchte Brombeeren und Johannisbeeren als Verursacher hin (s. Kurzbericht auf S. M586 in diesem Heft).

Haben Sie davon erfahren? Gab es Produktwarnungen oder Rückrufe, obwohl über das europäische Rapid Alert System for Food and Feed über 6 000 Untersuchungen bei 1 974 Firmen durchgeführt worden waren? Nicht dass ich wüsste! Offensichtlich waren die Behörden nach dem Desaster im Jahre 2011 mit den falschen Anschuldigungen gegen spanische Gurkenbauer in der EHEC-Krise ängstlich. Aber auch die Presse blieb stumm, was einen verwundert, denn es traten zwar kaum Todesfälle auf, aber Hepatitis A ist keine Sommergrippe.

Gehen etwa öfter Risiken im „Rauschen der Informationsflut“ verloren, während sich andere, oft harmlosere Störfälle zu Skandal-Gewittern aufbauen? Meine Frau sagt bei Lebensmittel-Skandalen immer, es müssen Ross und Reiter genannt werden. Sie meint damit zu Recht, dass nicht nur Rückrufe veranlasst, sondern auch die Verursacher angeprangert werden sollten. Andererseits können ungerechtfertigte Verdächtigungen große Schäden verursachen, wie seinerzeit der Eiernudel-Skandal gezeigt hat, bei dem eine Firma unterging, obwohl sie unschuldig war.

Damit befinden sich die Behörden in einer Zwickmühle und agieren vorsichtig, bis der Schaden gesichert aufgeklärt und zugeordnet ist. Dies ist nicht immer im Sinne des Verbrauchers, wie der obige Fall zeigt. Wir brauchen eine Institution, die den Schaden in seiner Gültigkeit, seiner Größe und seiner Bedeutung für die Gesundheit schnell charakterisiert und die Bevölkerung entsprechend informiert. Vermutlich gibt es diese Institution bereits (BMEL, BfR, BVL?), aber ich sehe noch zu wenig Resultate.

Während die NGOs (non-governmental organizations – Nicht-Regierungsorganisationen wie Food Watch, Greenpeace u. a.) die Bevölkerung durch dauernden (oft durchaus berechtigten) Aktionismus bei Laune halten, liest und hört man von den behördlichen Institutionen kaum etwas. Das sollte sich m. E. ändern und zwar im negativen (Schadensberichte) und positiven (Belobigungen) Sinne. Da Lob mehr anspornt als Tadel würde dies die ehrlichen unter den „Bereitstellern“ unserer Nahrung – und das ist die überwiegende Mehrheit, die aber heute fast alle unter einem Generalverdacht leiden – gut tun. Fazit: Wie das Beispiel der Beerenfrüchte zeigt – auch bei pflanzlichen Lebensmitteln muss man vorsichtig sein.

Es grüßt Sie herzlich Ihr   Helmut Erbersdobler

Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 11/14 auf Seite M581.

 

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