Editorial 3/2023: Auf der Suche nach dem richtigen Richtig

Der griechische Wortteil ὀρθός (orthos) steht im Deutschen für „richtig, wahrhaftig“ bzw. „gerecht“. In dieser Ausgabe der ERNÄHRUNGS UMSCHAU greifen wir mehrmals das Thema richtig essen bzw. das Richtige essen auf: Einmal im Beitrag von Friederike Barthels über Orthorexie, also die Fixierung auf eine nach subjektiven Vorstellungen gesunde Ernährungsweise. Zum anderen im Interview mit Matin Qaim, in dem es um „die richtige“ Auswahl von Lebensmitteln mit Blick auf das weltweite Ernährungssystem geht.

Dabei wird es schnell problematisch, wenn auf einem Gebiet der Wissenschaft mit den Begriffen „richtig“ und „falsch“ operiert wird. Denn einerseits gibt es viele Beispiele für mittlerweile widerlegte, dennoch lange als endgültig angesehene wissenschaftliche „Wahrheiten“. Andererseits sind „richtig“ und „falsch“ meist an ein Wertesystem gebunden (sei es moralisch oder amoralisch): Wenn alle Menschen auf der Welt die gleichen Ernährungs- und Bildungschancen haben sollen, ist unser westlicher Lebensstil „falsch“. Wenn ich den Menschen lediglich als eines von vielen omnivoren Lebewesen sehe, dann ist Tiere essen physiologisch sinnvoll und richtig. Wenn „der Markt alles regelt“ ist Marketing für Kinderlebensmittel richtig, weil wirtschaftlich erfolgreich.
Richtig und falsch gehen einher mit den Aufforderungen „du sollst (nicht)“ bzw. „du darfst (nicht)“. Was in unserer heutigen vielstimmigen (neudeutsch: multioptionalen) Welt sofort Gegenreaktionen – Reaktanz – auslöst. So ist es kein Wunder, dass die DGE-Einladung zur öffentlichen Kommentierung der neuen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen für Deutschland1 neben sinnvollen Debatten auch wieder altbekannte Kritik („die wollen uns etwas vorschreiben“) auslöst.
Vor diesem Hintergrund ist es richtig und wichtig, dass die DGE in ihrem im Februar gestarteten Podcast nicht „empfiehlt“, sondern offen fragt: Wie wollen wir essen?2
Ernährung findet für die meisten Menschen vor dem Hintergrund der eigenen Biografie und eines Wertesystems statt. Seien es ethische oder religiöse Motive oder eher rationale Überlegungen zur Auswirkung unseres Ernährungshandelns auf die planetare und auch persönliche Gesundheit. Wissenschaftliche Daten können dabei Entscheidungsgrundlagen sein, weil sie uns die Konsequenzen von Ernährungsweisen aufzeigen: Konsequenzen für die Gesundheit, die Artenvielfalt oder auf die politische Stabilität ganzer Länder. Der aktuelle wissenschaftliche Kongress der DGE belegt in über 180 Vorträgen und Postern die Vielfalt wissenschaftlicher Fragestellungen zum Oberthema Ernährung und gibt sicher auch Antworten auf Detailfragen. Aber hoffentlich noch mehr Anregungen zum Nachdenken und Weiterforschen.
Als Redaktion freuen wir uns, wenn viele dieser Forschungsprojekte durch eine Publikation in der ERNÄHRUNGS UMSCHAU eine noch größere Reichweite erzielen. Wir sind auf Einreichungen gespannt.
Bleiben Sie offen auf Ihrem Weg und der Suche nach der „richtigen“ Ernährung – auch für Kurskorrekturen!

Ihr Udo Maid-Kohnert

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1 #DGEfbdg2023; www.dge.de/wissenschaft/lebensmittelbezogene-ernaehrungsempfehlungen/ 
2 www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/podcast/ 



Dieses Editorial finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 3/2023 auf Seite M137.

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