Editorial 04/15: ... mit guten Beispielen voran

Die seit ca. 200 Jahren deutschlandweit bestehende Schulpflicht war bis in die jüngste Zeit überwiegend eine Halbtagsschulpflicht und endete gewöhnlich spätestens um 13 Uhr. Seit Generationen war somit das gemeinsame Mittagessen fester Bestandteil familiärer Tagesabläufe. Gesellschaftliche Entwicklungen, wirtschaftliche Erwägungen und der PISASchock haben im letzten Jahrzehnt bei allen Schulformen zu einer flächendeckenden Einführung von Ganztagsunterricht, verbunden mit der Einführung eines Mittagessens, geführt. Dies tangierte ganz massiv schulische und familiäre Abläufe. Die daraus resultierenden Akzeptanzprobleme sind bis heute nicht vollständig überwunden und bedürfen weiterhin des Zusammenwirkens und Engagements aller Beteiligten.

Wenn heute Schüler nach ihren Erfahrungen mit dem Ganztagsunterricht gefragt werden, dann wird häufig sehr positiv über die Freizeit- und Sportangebote berichtet. Nicht selten folgt jedoch: „Aber das Mittagessen ist eine Katastrophe“. Die Gründe sind vielfältig: Solange der niedrigste Preis und nicht die beste sensorische und ernährungsphysiologische Qualität bei der Vergabe an Anbieter ausschlaggebend und staatliche Bezuschussung des Mensaessens den Studentenwerken vorbehalten ist, solange Lehrer, Schulleitungen und -verwaltungen sich nicht wirklich verantwortlich fühlen, die Schulverpflegung nicht im pädagogischen Gesamtkonzept verankert ist und die vielfältigen Chancen einer guten Schulverpflegung, z. B. für das Schulklima, nicht erkannt werden, solange Mensen kein ansprechendes Ambiente haben, lehrerfreie Orte bleiben und das Ausgabepersonal wenig Empathie zeigt, solange Eltern und Schüler nicht partizipativ eingebunden werden und keine verpflichtende Teilnahme an der Schulverpflegung besteht, ... solange werden die Klagen nicht verstummen und die Verpflegungsangebote weiterhin in der berechtigten Kritik stehen.

Wir sollten einem „das hab ich nicht gewusst“ energisch entgegentreten, denn Vieles wurde bereits auf den Weg gebracht, bspw. die Schulvernetzungsstellen und der DGE-Qualitätsstandard für die Schulverpflegung (DGE-QSS). Trotz diverser kultushoheitlicher Querelen hat der DGE-QSS inzwischen in zwei Bundesländern (Berlin und Saarland) Verbindlichkeit erlangt und die von Bundesminister Christian Schmidt (BMEL) 2014 angekündigte Bildung eines Nationalen Kompetenzzentrums Schulessen läuft auf vollen Touren.

In dieser Ausgabe erwartet Sie ein Special zur Schulverpflegung mit der Vorstellung eines innovativen Selbstbewirtschaftungskonzepts einer traditionsreichen Gießener Beruflichen Schule, mit Interviews über aktuelle Rahmenbedingungen und Problemfelder der Schulverpflegung sowie über zwei weitere Best-Practice-Modelle. Dies alles zeigt, gutes Schulessen kann schon heute gelingen – man muss es nur wollen.

Helmut Heseker


Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 04/15 auf Seite M193.

PDF Artikel Download für Abonnenten:

Das könnte Sie interessieren
Sternchensuppe weiter
Die Rolle der Ernährungstherapie in der Behandlung von Essstörungen weiter
30 Jahre Diätassistenten-Gesetz: VDD fordert „Novellierung jetzt!“ weiter
Verbände fordern verstärkte Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen zur Steigerung der... weiter
61. Wissenschaftlicher Kongress der DGE weiter
Pflanzliche Speisefette und -öle weiter