Editorial 09/07: Enterale Ernährung – für viele Menschen eine Notwendigkeit

Dipl. oec. troph.
Heike Recktenwald,
Chefredakteurin

Gesunde Menschen können aus dem großen Angebot von Lebensmitteln wählen und sich ihrem persönlichen Geschmack entsprechend ernähren. Sie haben auch die Möglichkeit, an den vielfältigen Formen des Sozialkontakts, die mit Essen und Trinken einhergehen, teilzunehmen. Dieses Recht haben auch kranke, alte und pflegebedürftige Menschen.

Bei bestimmten Erkrankungen, die eine enterale Ernährung erforderlich machen, ist dies aber nicht oder nur eingeschränkt möglich. Das bedeutet für die Patienten, zusätzlich zu ihrer Erkrankung, eine weitere schwerwiegende Einschränkung der Lebensqualität. Damit die Nahrungszufuhr auf normalem oralem Weg erfolgen kann, sind ein entsprechendes Umfeld und Betreuung notwendig, um die notwendige Zuwendung und Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme zu gewährleisten.

Dies verursacht allerdings Kosten. Das Thema enterale Ernährung ist besonders relevant vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Deutschland. Die Menschen werden zunehmend älter und die Zahl der pflegebedürftigen, sehr alten Patienten steigt unaufhaltsam an. Entsprechend wurden von den Herstellern der bilanzierten Diäten Versorgungsketten, so genannte Home-Care-Teams eingerichtet. Auch die Zahl der Demenzkranken wird in den kommenden Jahren stark ansteigen. Im Jahr 2020 werden Schätzungen zufolge bereits 1,4 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sein.

Bei den über 90-Jährigen sei jeder Dritte altersverwirrt, heißt es im 4. Bericht der Bundesregierung zur Lage der älteren Generation . Bereits heute werden jährlich in Deutschland ca. 140 000 PEG-Sonden (Perkutane Endoskopische Gastrostomie) gelegt, davon über 70 % bei Heimbewohnern und 50 % bei psychisch Kranken, vor allem demenzkranken Patienten, die zu Hause oder in Heimen betreut werden (Müller-Bohlen/Paape, Betreuungsrechtliche Praxis 5 (2000) S. 183-187).

Die ausreichende Zuwendung und Hilfestellung durch dritte Personen sowie die Entscheidung für die enterale Ernährung sind immer auch eine Frage des Budgets. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt daher eindeutig in den Arzneimittel-Richtlinien fest, in welchen medizinisch notwendigen Fällen die Gesetzliche Krankenversicherung enterale Ernährung für Kranke zahlt, die zu Hause oder in einem Pflegeheim betreut werden. Im Ausnahmenfall kann die künstliche Ernährung von niedergelassenen Ärzten, per Kassenrezept, also ambulant verordnet werden.

Behandlungen im Krankenhaus sind von diesen Restriktionen nicht betroffen. Die Klinische Ernährungstherapie hat das Ziel, den Energie- und Nährstoffbedarf in Situationen sicherzustellen, in denen die normale orale Ernährung hierzu nicht ausreicht. So können frühzeitig Mangelernährung vermieden und die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität eines Patienten erhalten werden. Entsprechend stehen mittlerweile Standard- und Spezialnahrungen für eine Vielzahl von Indikationen zur Verfügung. Diese werden in unserem Special-Beitrag ab S. 528 vorgestellt.

Die Lebensweisheit „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“ spiegelt die Bedeutung der Ernährung für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen wider. Solange der Mensch jung, gesund ist, macht er sich kaum Gedanken über seine Ernährung und mögliche Konsequenzen für die Gesundheit. Für enteral ernährte Menschen verändert sich die Bedeutung von „Essen und Trinken“. Die Bewältigung psychisch schwieriger Situationen und vielleicht auch die Akzeptanz eines Krankheitsbildes stehen im Vordergrund.

Eine menschliche und menschenwürdige Betreuung durch Dritte ist in solchen Momenten für die Patienten von großer Bedeutung. Eine solche Betreuung wünschen wir allen Patienten von ganzem Herzen.

Ihre

Heike Recktenwald




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