Editorial 12/07: Gans oder Pute?

Prof.Dr.Helmut ErbersdoblerJetzt kommt wieder die Zeit, in der man den markigen Spruch „Man wird nicht dick zwischen Weihnachten und Neujahr, sondern zwischen Neujahr und Weihnachten“ häufiger hören oder lesen kann.

Er erinnert mich ans Pfeifen im Walde und ich mag ihn aus folgenden Gründen nicht: Erstens dauert „Weihnachten“ heutzutage länger – großzügig gemessen von Sankt Martin bis zum Sonntag nach Heilige Drei Könige (6. Januar). Eine Zeit von zwei Monaten, in die neben den genannten Feiertagen auch andere Feste fallen – Nikolaus, Betriebs-, Abteilungs-, Club-, Kirchen- und anderen Weihnachtsfeiern sowie Advents-Nachmittage und vieles mehr (wenn man Pech hat, auch der Geburtstag).

Die Problematik dieser Zeit ist nicht die Fettaufnahme, der süße Genuss oder der Alkoholkonsum, sondern alles zusammen. Zweitens ist immer noch nicht geklärt, ob das mit dem Älterwerden fast unvermeidlich ansteigende Körpergewicht sich tröpfchenweise (täglich 8–9 kcal, oder 1 g Fett zu viel, entsprechend ca. 4 kg Mehrgewicht nach 10 Jahren) oder in Schüben ansammelt. Für letztere könnten die Feiertage, nicht nur die um die Weihnachtszeit, verantwortlich sein. Möglicherweise findet auch beides gleichzeitig statt, was ebenfalls die Feste belasten würde.

Zu den äußeren Faktoren kommt auch noch die innere Uhr, die uns im Herbst und Frühwinter diktiert, Reserven zu bunkern, um im Spätwinter, wenn in früheren Zeiten die Vorräte erschöpft waren und früher notgedrungen Fastenzeit war, zu überleben. Ein bis zwei Kilo mehr kann diese innere Vorsorge durchaus bringen, und im Frühjahr bleiben sie dann, weil es die Notzeiten nicht mehr gibt.

Was soll man nun tun? Sich treiben lassen und auf die Frühjahrskur hoffen oder Verzicht üben und sich kasteien? (Noch) mehr abstrampeln, Karenztage einlegen, mehr Gemüse essen oder die Gans gegen Pute austauschen?

Mehr bewegen ist immer gut, und vielleicht liegt ja auch ein Bewegungsspiel oder Sportgerät auf dem Gabentisch. Eine vorweihnachtliche Fastenzeit mit dem täglichen Fußmarsch zur Morgenmesse („Rorate“) vor der Arbeit, damals noch zumeist bei klirrender Kälte, war im katholischen Süddeutschland früher Brauch. Der Fastenbrauch wird übrigens möglicherweise ganz leise wieder Mode – jetzt quer durch die Konfessionen bis hin zum „ayurvedischen Adventsfasten“.

Da jedoch gerade in dieser Zeit des Frühwinters, mit zunehmender Kälte, abnehmendem Tageslicht und schwindender Farbigkeit der Natur die Psyche besonders belastet wird, sollte man sich die Weihnachtsfreude und -vorfreude nicht zu sehr verderben lassen. Also nichts gegen die Pute (ach ja, für einige gibt es ja Ende November noch Thanksgiving Day), aber wer eine Gans essen möchte, auch wenn sie teurer werden soll, dem wollen wir sie hier nicht ausreden. Man kann ja die Soße penibel entfetten, die Fülle etwas leichter gestalten und die Portion des nicht zu sehr mit Fett angereicherten Grünkohls erhöhen.

Natürlich wird die Gans dadurch nicht wirklich mager. Daher: laufen Sie danach zügig ums Karree und erfreuen sich an den schönen Vorgärten oder Fenstern mit den vielen Lichtern! Wenn Sie das Ei des Kolumbus – oder besser „die gesunde Weihnachtsgans“ – entdeckt haben sollten, schreiben Sie mir, wir veröffentlichen das Rezept im nächsten Jahr. Und denken Sie auch an die Armen, die „weit weg von der Gans“ leben. Sie können sich weder Gans noch Pute leisten und sind dankbar für jede Hilfe.

In diesem Sinne ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!

Ihr

Helmut Erbersdobler

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