Adipositas bei Kindern: Nachhaltige Schulungsprogramme nötig

Das bloße Verständnis der Adipositas als Risikofaktor für Folgeerkrankungen ist auf nationaler und internationaler Ebene einer Anerkennung als eigenständige Erkrankung gewichen. Die reale Situation hinkt jedoch der theoretischen Anerkennung hinterher: Im pädiatrischen Bereich reichen die Kostenübernahmen ambulanter und stationärer Behandlungen von kindlicher Adipositas durch die deutschen Krankenkassen vorwiegend nicht aus [1].

Laut der KiGGS-Basiserhebung waren 2008 in Deutschland etwa 1,7 Mio. Kinder und Jugendliche ab dem 2. Lebensjahr übergewichtig, davon 750 000 adipös. Daten der Schuleingangsuntersuchungen zufolge zeichnet sich mittlerweile eine Stabilisierung bzw. sogar ein geringer Rückgang der Prävalenzen von Übergewicht und Adipositas in den meisten deutschen Bundesländern ab. Dennoch bedarf es in Deutschland geeigneter und frühzeitig angewandter Behandlungsmaßnahmen gegen juvenile Adipositas, da diese bei 25–50 % der Betroffenen bis ins Erwachsenenalter anhält. Auch ein verfrühter Wiederanstieg des BMI nach dem sog. „adiposity rebound“ (physiologischer BMI-Anstieg im 5.–6. Lebensjahr) ist mit einer erhöhten Adipositas-Inzidenz im Alter von 15 Jahren assoziiert. Die zu erwartenden Folgekosten der unzureichend behandelten kindlichen Adipositas können dabei mitunter beträchtlich ausfallen.

Konservative Gewichtsreduktionsprogramme bei Kindern scheinen, im Vergleich zu Gewichtsreduktionsprogrammen bei adipösen Erwachsenen, durchaus positive Effekte zu zeigen. Dies zeigt sich sowohl in der von der Arbeitsgemeinschaft für Adipositas im Kindesalter (AGA) gewünschten Gewichtsreduktion von 5 % ein Jahr nach Therapiebeginn als auch in den geringeren Therapieabbruchraten adipöser Kinder. Da die Kurzfristigkeit der existierenden Schulungsprogramme in Deutschland dennoch eine Gewichtsnormalisierung erschwert, sind weitere Studien zur Identifizierung der Prädiktoren einer erfolgreichen Therapie unumgänglich. Es besteht ein hoher Bedarf zur Entwicklung nachhaltiger Schulungsprogramme für Kinder und Jugendliche weltweit, um die Erkrankung Adipositas in den Griff zu bekommen.


Juvenile Adipositas nimmt weltweit zu Die Zeitschrift The Lancet veröffentlichte im Februar eine sechsteilige Serie zu Übergewicht und Adipositas. In weniger als einer Generation sind die Adipositasraten bei Kindern weltweit dramatisch angestiegen. Demgegenüber steht eine viel zu langsame, träge und mitunter falsche Reaktion seitens Politik, Lebensmittelindustrie und Gesellschaft. Auch in Entwicklungsländern steigen die Raten übergewichtiger Kinder an. Hier liegt ganz klar eine Fehlernährung vor, denn die Anzahl unterernährter Kinder, welche ihr altersentsprechendes Körpergewicht nicht erreichen, aber dennoch mehr an Gewicht in Relation zu ihrer Körpergröße zunehmen, steigt an. Dies zeigt die Notwendigkeit einer Bereitstellung von Lebensmitteln, welche ein gesundes Aufwachsen von Kindern gewährleisten. Politik, Lebensmittelindustrie und die Gesellschaft sind gefragt, aggressive Marketingmethoden, stark verarbeitete Lebensmittel mit geringem Nährwert und hohe Zuckerzusätze gerade in Lebensmitteln für Kinder in Bann zu halten. Nur so und mittels einer Kombination von angemessenen Preisen, guter und geregelter Verfügbarkeit der Produkte, klar definierter Nährwertstandards, Steuern auf ungesunde Lebensmittel, Subventionen für eine gesunde Lebensweise einkommensschwächerer Familien und Förderung von Gesundheitsprogrammen können funktionierende Ernährungssysteme weltweit aufgebaut werden.

www.thelancet.com/series/obesity-2015 

Quelle: World Obesity, Pressemeldung Februar 2015


Literatur: 1. Disse S, Zimmer KP (2014) Adipositas bei Kindern – eine chronische Erkrankung? Dtsch Arztebl 111(48): 1–2

Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 04/15 auf Seite M201.

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