Editorial 05/02: Allezeit sicher ist nichts

Berthold Gaßmann, Bergholz-Rehbrücke

Prof. Dr. B.Gaßmann

Heuristisch im Nährstoffdenken befangen, geben Autoren von Beiträgen, die der rechten Ernährung dienen sollen, ihrer Argumentation mit kaum einem Wort mehr Gewicht als mit signifikant. Den urprünglichen Sinn von Zeichen setzend, bedeutsam, wichtig oder typisch überdeckt hat dabeimerklich der des Nachgeprüften statistischer Erhebungen und Hypothesen.

Als "gesichert" betrachtet, werden signifikante Wirkungen gern apodiktisch in reine Lehren gegossen, und gelten sie heute, werden sie wohl auch morgen gelten und vielleicht sogar für alle Zeiten. Vergleichbar gewinnen Erkenntnisse und Entwicklungen an Überzeugungskraft, wenn man sie betont als neu herausstellt. Mithin ist es vergnüglich, der Spiekermannschen Spurensuche bei einer so "modernen" Erzeugnisgruppe wie der von Functional Food zu folgen und gleich Nante an der Litfasssäule festzustellen: "Allet schon mal dajewesen!"

Nachdenklich stimmen sollte ebenso der Diskurs über eine zur Gesunderhaltung zweckmäßige Fettsäurenzusammensetzung des Nahrungsfettes. Hatten wir im Februarheft (S. 44–48) noch den Stellenwert von Nüssen bzw. Nussölen in der Ernährung zur Diskussion gestellt, war es im Märzheft (S. 94–98) ein Standpunkt zur Bedeutung und empfehlenswerten Höhe der Zufuhr langkettigerOmega-3-Fettsäuren. Mit diesem Heft folgen zwei weitere Beiträge über Omega-3-Fettsäuren (Hahn et al., S. 172–177; Singer und Wirth, S. 178–181). Dies macht deutlich, dass ein Konsens in den Auffassungen darüber noch nicht besteht.

Wer aufmerksam das aktuelle Interview von Wolfram über die Richtwerte der DGE zur Fettzufuhr im Aprilheft (S. B13/14) und dazu noch einmal dessen Grundsatzausführungen im Juliheft des letzten Jahres (S. 274–282) gelesen hat, dem dürfte aufgefallen sein, worum es dabei geht: um die Anteile von C18 : 3- und von C20 : 5- + C22 : 6 Omega-3-Fettsäuren. Halbwegs Einigkeit hingegen besteht hier zu Lande über die Begrenzung der Gesamtfettzufuhr auf 30 Energie-% und über deren prozentuale Aufteilung auf gesättigte, einfach ungesättigte und mehrfach ungesättigte sowie über das Verhältnis von Omega-6-/Omega-3-Fettsäuren.

Zurückzuführen sind die in dieser Hinsicht während den letzten 10 Jahre vollzogenen Abwandlungen auf, u. a. aus der mediterranen Kost gewonnene, neue ernährungsmedizinische Erkenntnisse über die physiologische Bedeutung einzelner Alkan-, Monoalken- und Polyalkenfettsäuren sowie auf die Verfügbarkeit eines diesen entgegen kommenden, aus der Züchtung erucasäure- und senfölgykosidfreier Rapssorten hervorgegangenen Öles und auf Fortschritte in der Fettchemie und -technologie.

Von 1926 an standen bis Ende der 30er Jahre Linol- und Linolensäure als weitere essentielle Nährstoffe im Mittelpunkt ernährungsphysiologischer Betrachtungen. Deren ernährungsmedizinische Bedeutung beschränkte sich damals auf den Einsatz in der Dermatologie und beruhte auf bis dahin publizierten tierexperimentellen Beobachtungen und Ergebnissen. Das änderte sich erst, als zu Beginn der 50er Jahre biologische Wirkungen mehrfach ungesättigter Fettsäuren auf den Lipid- und speziell den Cholesterinstoffwechsel bekannt und in Zusammenhang mit der Arteriosklerose gebracht wurden.

Die Folge davon waren die Erhöhung des Einsatzes von Pflanzenölen mit hohem Linolsäuregehalt sowie die Einführung der Umesterung und anderer unkonventioneller Verfahrensweisen in der Technologie der Margarineherstellung, mit denen sich die Verarbeitung tierischer und gehärteter pflanzlicher Fette zu streichfähigen Margarinen umgehen ließ. Hinzu kam die Hinwendung zur "Ölküche", nachdem zunächst nachkriegsbedingt mit dem gesamten der Verzehr an Nahrungsfett tierischer Herkunft angestiegen war.

Noch heute beträgt die Gesamtfettzufuhr durchschnittlich 37 Energie-%, und gekennzeichnet ist sie durch Fettsäurenanteile und -verhältnisse, die den Richtwerten der DGE ebenso wenig entsprechen. Dass ein Omega 6/Omega-3-Fettsäurenquotient von kleiner gleich 5 : 1 über die Auswahl marktgängiger Pflanzenöle und daraus vor allem für die Ernährung Kranker herstellbarer Strukturfette wirtschaftlich gewährleistet werden kann, ist unzweifelhaft.

Ob die langkettigen Omega-3-Polyalkenfettsäuren für Erwachsene jedoch weiterhin nur als konditionell essentiell betrachtet und allein über die allenfalls zu 10 % mögliche Biosynthese aus Omega-Linolensäure bestritten werden können, ist fraglich. In immer mehr und neuen Publikationen wird das anders gesehen [vgl. z. B. Albert et al., N Engl J Med 346 (2002) 1113–1118; Hu et al., JAMA 287 (2002) 1815–1821]. Selbst die BMFT-Leitprojektinitiative NAPUS 2000 zielt längst auf "Lachs in Raps" ab. Ob in der Nahrung originär mit "Fischfettsäuren" nun 0,2 oder 0,3–0,4 Energie-% zu bestreiten sind, dürfte erst in zweiter Linie von Belang sein.

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