Editorial 05/07: Menschen mit Diabetes

Dipl. oec. troph.
Heike Recktenwald,
ChefredakteurinIch kann mich noch sehr gut an die 1980er Jahre erinnern, als mit der Bezeichnung Diabetes mellitus eine Erkrankung gemeint war, die vorwiegend ältere und übergewichtige Menschen betraf. Menschen mit Diabetes war es verboten, zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke zu sich zu nehmen.

Die Fett- und Einweißaufnahme wurden in der Ernährungsberatung und Therapieumsetzung ebenfalls strengstens kontrolliert. Statt Saccharose wurden Fruktose oder Zuckeralkohole im Alltag verwandt, manchmal auch Süßstoffe, die noch sehr metallisch schmeckten, es wurden BE eingespart, indem Mehl zur Bindung von Soßen durch BE-freie Bindemittel ersetzt wurde.

Die Mahlzeitenfolge und Zeit der Mahlzeit waren starr geplant, die BE-Mengen genau an die Insulinmenge angepasst. Auch viele junge Menschen mit einem Typ-1-Diabetes mussten diese sehr strengen Regeln einhalten und waren auf der Suche nach der Normalität ihres Alltages. Der Besuch in der Diabetes- und Ernährungsberatung war für viele Patienten ein sehr schwerer Gang, denn die Lebensqualität und die strengen Diätregeln waren unter den damaligen Therapieformen kaum miteinander vereinbar.

Oft wurde in der Ernährungsberatung mit guter Absicht der Zeigefinger erhoben. Doch durch kognitive Einsicht kamen nur sehr wenige Menschen mit Diabetes zu einer Verhaltensänderung. Ein hoher Blutzuckerwert ist nicht wirklich schmerzhaft, doch bei jahrelanger schlechter Blutzuckereinstellung sind es die Folgeerkrankungen des Diabetes umso mehr. Eine Erkenntnis, die viele Diabetiker leider zu spät erreichten , um die Therapieführung wirklich zu korrigieren und diabetische Folgeerkrankungen zu vermeiden.

Durch moderne Therapiemethoden ist es heute möglich, die Insulinwirkung mit den Wünschen der Patienten und den Anforderungen an ihren persönlichen Alltag annähernd in Einklang zu bringen. Vor allem die Insulinpumpen-Therapie bietet hierbei besondere technische Unterstützung und kommt der physiologischen Insulinversorgung eines Stoffwechselgesunden sehr nahe. Menschen mit Diabetes essen (laut Aussagen der Deutschen Diabetesgesellschaft) heute nach gleicher Empfehlung wie stoffwechselgesunde Menschen, wenn Bolus-Insulin und BE-Berechnung stimmen und richtig umgesetzt werden.

Die Zeit der Verbote scheint vorbei, aber wie ist es um die Qualität der heutigen Diabeteseinstellung bestellt? Sie ist besser – aber sicher noch nicht befriedigend. Warum?

Nach der Diagnosestellung erhalten Diabetiker eine Schulung, die nicht nur die Ratio anspricht, sondern den Patienten auch in der praktischen Umsetzung der Diabetestherapie unterstützt und motiviert. Ein interdisziplinäres Schulungsteam ist aktiv in die Therapieumsetzung eingebunden. Der Begriff der Lebensqualität scheint für Menschen mit Diabetes wieder greifbar zu sein. Für Diabetiker ist die Lebensqualität entscheidend für die Motivation, eine optimale Therapie, z.B. definiert durch einen HbA1c-Wert von unter 6,5 %, ein Leben lang durchzuführen. Lesen Sie mehr im Interview mit Diabetesberaterin Kornelia Rabanus Seite 262.

Nach heutigem wissenschaftlichem Kenntnisstand wird es im Jahre 2010 etwa 10 Millionen Typ-2-Diabetiker in Deutschland geben, wobei der jüngste „Altersdiabetiker“ gerade mal fünf Jahre alt sein wird. Das werden 10 Millionen betreuungs- und behandlungsbedürftige Patienten sein. Sie sind fast ausschließlich die Folge des heutigen, sich dramatisch verschlechternden „Lebensstils“.

Bei gesunder Ernährung und ausreichender körperlicher Aktivität gäbe es diese Menschen mit Diabetes nicht. Diabetes ist heute kein Problem des Alters, sondern betrifft immer häufiger sehr junge Menschen, die noch ein langes Leben vor sich haben können. Diesen Trend gilt es zu stoppen. Lesen Sie hierzu mehr ab Seite 248.

Jährlich entstehen Kosten in Höhe von mindestens fünf Milliarden Euro, die nach Angaben der Autoren, B. Häussler, E.-G. Hagenmeyer et al. im Weißbuch „Diabetes in Deutschland“, direkt der Diagnose Diabetes mellitus zuzuordnen sind. Wir kennen die Abhilfe: gesunde Ernährung, frische Kost, ausreichend Bewegung, Übergewicht vermeiden. Die Lösung scheint ganz einfach zu sein. Doch die Frage, die es zu beantworten gilt, heißt: „Warum setzen wir diesen Weg nicht um, und was hindert uns?“

Wie in der Diabetesschulung stellt sich auch in der Prävention die generelle Frage, wer die Verantwortung für den Erfolg der Therapie, etwa die richtige Ernährungsweise, trägt: der Arzt, die Beraterin oder der Patient? Ist den Menschen/Patienten auch bewusst, dass sie ihres Glückes Schmied sind und sie die Verantwortung für ihr Handeln tragen? Wie kann man Menschen für etwas begeistern? Vielleicht liegt in der ganzheitlichen Betrachtung eines Menschen, in der Berücksichtigung von Körper, Geist und Seele die Beantwortung dieser Frage und der Stein der Weisen?

Ihre

Heike Recktenwald

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