Editorial 05/12: Übergewicht – Fluch oder Segen?

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler
Herausgeber

„Ich weiß, dass ich nichts weiß“ – das war gestern . „We are still confused but on a higher level“, das können wir für die heutige Zeit postulieren – auch für viele Fragen der Ernährung. Dies beginnt bereits bei der Klassifizierung von Übergewicht und Adipositas, die beide oft ohne Differenzierung behandelt werden. Auch über die Ursachen besteht letztlich noch keine Klarheit.

Sicherlich, prinzipiell Schuld ist ein Ungleichgewicht von Input und Output. Aber was legen wir beim Input auf die Waage und wann? Genügt es, sich auf die Daten in Nährstofftabellen zu verlassen, und wie zuverlässig sind Verzehrserhebungen? Ein Unsicherheitsfaktor dabei sind die „Ballaststoffe“. Wie viel Energie liefern sie wirklich und wie hoch ist die Bioverfügbarkeit der Nährstoffe aus den Lebensmitteln? Eine große Rolle spielt dabei auch die Darmflora und die ist keineswegs bei allen Menschen einheitlich.

Man kennt heute die zwei großen Gruppen der Firmicutes und Bacteroides im Dickdarm, die unterschiedlich auf die Bevölkerung verteilt sind. Die Firmicutes sind stoffwechselaktiver und liefern mehr Energie. Ist es ein Zufall, dass sie bei Übergewichtigen vorherrschen? Sicherlich machen die Unterschiede im Energiegewinn nur einige Prozent aus, aber selbst 10 kcal zu viel pro Tag (~ 0,5 % der Zufuhr) summieren sich in 10 Jahren auf etwa 5 kg Übergewicht.

Eine andere Frage ist: Mit was sollten wir unseren Organismus „füttern“? Davon leben die meisten Diätprogramme, indem sie entweder Fette und/oder Zucker verpönen, alles trennen oder auf Tageszeiten verteilen usw. Im Grunde helfen sie alle nur, wenn sie erreichen, dass weniger Energie zugeführt wird. Das Hauptproblem ist und bleibt dann immer noch die Verstetigung der Erfolge. Auf den Output möchte ich nicht näher eingehen. Hier würden Stichworte wie postprandialer Wärmeverlust, braunes Fettgewebe, Muskelanteil im Körper, unterschiedlicher Physical Activity Level (PAL) etc. fallen.

Ja, und dann wären da noch die Folgen von Übergewicht/Adipositas: Als Erwachsener sollte man eher nicht zunehmen, im Alter sollte man aber nicht (mehr) abnehmen. Ein fitter Übergewichtiger ist gesünder als ein schlanker ‚couch potato‘. Hier spielt offensichtlich das Verhältnis von Muskelgewebe zum Körperfett eine große Rolle. Kürzlich lasen wir, dass Übergewicht sogar von Vorteil sei (Ernährungs Umschau 4/2012: Das egoistische Gehirn).

Gibt es überhaupt das für alle passende Idealgewicht? Viele selbst ernannte „Ratgeber“ wollen das gar nicht wissen, denn es ist so lukrativ, „im Nebel zu lotsen“. Das steigert aber die Konfusion und letztendlich wird keinem mehr geglaubt. Damit bleibt es bei dem oben erwähnten Zustand.

Wir sollten also nicht zu viel erwarten. Aber kleine Erfolge sind möglich – und auch die summieren sich. Genießen Sie den Frühling. Es grüßt Sie

Ihr

Helmut Erbersdobler

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