Editorial 7/2025: Business Bias
- 14.07.2025
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- Udo Maid-Kohnert
Rafaella Galliani Salini und Anja Kroke von der Hochschule Fulda haben nun diesen Konsultationsprozess wissenschaftlich untersucht. In Ihrem Beitrag ab S. M404 in diesem Heft vergleichen sie ihn mit ähnlichen Prozessen in anderen Ländern und analysieren, welche Argumentationsmuster der verschiedenen Stakeholder – Privatpersonen sowie Akteure aus den Tätigkeitsbereichen (Tb) Wirtschaft (Tb-Wirt), Wissenschaft (Tb-Wiss), Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen – es gibt.
Dabei überrascht nicht, dass Wirtschaftsverbände sich prozentual gesehen stark in den Konsultationsprozess eingebracht haben (Business Bias), auch nicht, dass Erzeuger*innen im Sinne ihrer Produkte argumentiert haben (dito). Das ist durchaus Sinn eines Konsultationsprozesses. Problematischer ist schon folgendes Ergebnis:
„Während die meisten kritischen Anmerkungen von TN des Tb-Wirt kamen, stammten die meisten positiven/zustimmenden Anmerkungen von TN des Tb-Wiss.“ Nun könnte man mutmaßen, dass die Kommentierenden aus dem wissenschaftlichen Bereich allein aufgrund der methodischen Eleganz des OM so positiv votierten (Elfenbeinturm-Argument), während die Vertreter*innen aus der Wirtschaft auf Basis langjähriger Erfahrungen sachlich begründete Kritik äußerten (Real-life-Pragmatismus). Doch zeigt die Auswertung Folgendes: „TN des Tb-Wirt insgesamt plädierten überwiegend für den Ersatz der Methodik, ohne jedoch konkrete Alternativen aufzuzeigen.“ Und weiter wurde „... das OM von TN des Tb-Wirt überwiegend als Ganzes abgelehnt. Dabei hielten TN des Tb-Wirt Aspekte für nicht wissenschaftlich, z. B. die Transparenz der Berechnungsgrundlage des OM, die von TN des Tb-Wiss Zustimmung erfuhren. […] Eine solch grundlegende Opposition seitens einzelner Gruppen aus der Lebensmittelwirtschaft sowie die Behauptung einer mangelnden wissenschaftlichen Grundlage […] wurde auch im Fall der Implementierung von Lebensmittel-Labelling-Maßnahmen1 beobachtet.“
Fachgesellschaften und Ernährungsfachkräfte müssen dem Pauschalvorwurf der „Unwissenschaftlichkeit“ mit gut überlegten Kommunikationsstrategien begegnen, die Grundlage ihrer Empfehlungen mit großer Transparenz und nicht herablassend kommunizieren und laufend überprüfen, denn der Schritt vom Lobby-Argument „unwissenschaftlich“ bis zur Wissenschaftsfeindlichkeit (aktuelle Entwicklungen nicht nur in den USA) ist gerade bei den emotional besetzen Themen Essen & Trinken und Gesundheit besonders klein. Ein Warnsignal sollte die in der Studie festgestellte geringe Teilnahmerate im Vergleich zu ähnlichen Prozessen in anderen Ländern sein.
Ihr Udo Maid-Kohnert
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1 gemeint ist die Debatte um den Nutri-Score
Dieses Editorial finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 7/2025 auf Seite M393.