Editorial 08/02: Nitrofen und MPA

Sabine Fankhänel, Frankfurt

Sabine Fankhänel,
ChefredakteurinOnly bad news are good news – das gilt besonders während des so genannten Sommerlochs und nicht zuletzt für den Bereich Ernährung. Beschäftigte im Juni der Nitrofen-Skandal die Medien, waren es im Juli mit Medroxy-Progesteron-Azetat verseuchte Futter- und Lebensmittel.

Was ist MPA und wie konnte es in Futter- bzw. Lebensmittel gelangen? Das synthetisch hergestellte, zur Gruppe der Gestagene gehörende MPA unterdrückt über eine Hemmung der Gonadotropin-Ausschüttung den Sexualzyklus. In Deutschland ist MPA als Arzneimittel in der Humanmedizin (z. B. Empfängnisverhütung) zugelassen. In der Tiermedizin ist es zwar auch erlaubt, aber nur für Heimtiere, auf keinen Fall für Lebensmittel liefernde Tiere. In einigen Ländern der Europäischen Union (EU) darf es bei Schafen zur Synchronisation des Sexualzyklus eingesetzt werden. Da MPA als relativ unbedenklich gilt, sind in der EU Höchstmengen für Lebensmittel nicht festgelegt worden. Der Tierarzneimittelausschuss der EU nennt als Maß für die gesundheitliche Risikobewertung einen NOEL von 30 µg/kg KG und einen ADI von 18 µg/d.

Nach den bisherigen Ermittlungen mischte die belgische Firma Bioland Liquid Sugars, Aarendonk, gesetzeswidrig mit MPA kontaminierte Arzneimittelabfälle in Glukosesirupe. Diese wurden wiederum an Getränke- und Futtermittelhersteller in mehreren europäischen Ländern verkauft. Über Futtermittel und Grundstoffe für die Getränkeherstellung wurde MPA dann in den Nahrungskreislauf eingetragen, vor allem in Getränke und Fleisch.

Nachdem das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft am 27. Juni erstmals Hinweise für mit MPA verunreinigte Futtermittel erhielt, wurden in Deutschland bis Mitte Juli immer neue Quellen für eine Belastung bekannt, u. a. Glukosesirup, Flüssig- und Mischfuttermittel, Fleisch sowie unterschiedlichste Lebensmittel. Von 7500 Schweinen, die in den Niederlanden gemästet und nach Rheinland-Pfalz bzw. Nordrhein-Westfalen geliefert wurden, konnten keine Proben mehr gezogen werden – das Fleisch war bereits verarbeitet worden. Ebenso waren der überwiegende Teil des gelieferten Glukosesirups und die damit hergestellten Lebensmittel nicht mehr auffindbar. In Rheinland-Pfalz wurde in Sirup-Proben MPA in einer Konzentration von 0,9 bzw. 5,8 µg/kg festgestellt; die Ware wurde vernichtet. Wegen der Verwendung melassehaltiger, mit MPA kontaminierter Futtermittel wurden zeitweise 1800 landwirtschaftliche Betriebe in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz gesperrt.

Am 24. Juli beschloss der Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit der EU ein Maßnahmenbündel für den Umgang mit potenziellen oder tatsächlichen MPA-Rückständen. Dieses umfasst u. a.:

  • Kein potenziell belastetes Futter, keine potenziell belasteten Melassen dürfe in die Lebens- und Futtermittelkette gelangen; vielmehr müssen sie vom Markt genommen werden.
  • Nur wenn in Melasse-/Futtermittelproben keinerlei MPA-Rückstände gefunden worden sind, werden die landwirtschaftlichen Betriebe wieder freigegeben. Werden MPA-Rückstände nachgewiesen, müssen repräsentative Stichproben von Tieren darauf untersucht werden.
  • 30 Tage lang werden Schlachtkörper kontinuierlich auf MPA getestet.
  • Die nationalen Rückstandskontrollpläne sollen mit Blick auf die aktuellen Erfahrungen überarbeitet und die EU-Kommission hierüber unterrichtet werden.
  • Alle Maßnahmen (Rückführung, unschädliche Beseitigung belastetete Futtermittel) sind unter behördlicher Überwachung durchzuführen.

Am 25. Juli stimmten die Bundesländer dem Ergebnis der Beratungen des Ständigen Ausschusses zu. Sie beschlossen, bisher gesperrte Betriebe freizugeben, wenn dort 7 Tage lang kein belastetes Futter eingesetzt wurde.

Als Fazit bleibt: Der unsachgemäße, fahrlässige Umgang mit Lebens- oder Futtermitteln – wie im Fall des Nitrofen-Skandals – lässt sich durch noch so strenge Lebensmittelgesetze oder auf freiwilliger Basis vereinbarte Qualitätsrichtlinien nicht ausschließen. Hier helfen nur die kontinuierliche, intensive Aufklärung und Schulung aller Personen, die mit Futter- und Lebensmitteln in Berührung kommen. Ebenso bieten Gesetze letztlich keinen Schutz vor kriminellen Machenschaften im Lebensmittelbereich.

In der Europäischen Gemeinschaft mit ihrem freien Warenverkehr ist es vielmehr entscheidend, solche Gesetzesverstöße sowie deren Ausmaß und Bedeutung so früh wie möglich zu erkennen. Denn nur dann können Behörden und Lebensmittelproduzenten geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen, die Verbraucher sachgerecht informieren und die Verursacher zur Rechenschaft ziehen.

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