Editorial 8/2019: Hitzige Tierwohldebatte

Mit über 200 Likes ist das hier abgebildete Foto aus dem Redaktionsgarten einer der Renner auf unserem Facebook-Kanal und hat mehr als 13 000 Personen erreicht. Die Bienen sammeln das Wasser nicht nur zum Durstlöschen, sondern auch zur Temperaturregulation in den Bienenstöcken. Bienen sind Sympathieträger, nicht erst seit dem Volksbegehren in Bayern. Und unter Hitze und Durst leiden, das wünschen wir keinem Lebewesen.

Szenenwechsel: An einem der extremen Hitzetage Mitte Juli wird ein Lastwagen auf der A5, ganz in der Nähe unserer Redaktion, von der Polizei kontrolliert. Die Fracht: mehrere Tausend Hühner. Start der Tour: ein Mastbetrieb in Frankreich, Ziel: ein Schlachtbetrieb in Polen. Bei über 35 °C auf der Ladefläche waren nach einem Drittel der Fahrtstrecke bereits mehrere hundert Tiere verendet; nach Aussage der hinzugezogenen Tierärztin hätte kein Tier den Zielort lebend erreicht. Die Polizei ermittelt gegen die beteiligten Firmen.

Es ist müßig, hier zu diskutieren, ob das mal wieder ein schlimmer Einzelfall war oder durch die Stichprobe erneut die Auswirkungen des absurden Schlachtvieh-Transports auf der Jagd nach Gewinnspannen durch Subventionen oder Lohngefälle innerhalb der Europäischen Union aufgedeckt wurden. Müßig auch, darüber zu spekulieren, mit welchen Werbeaussagen oder Dumpingpreisen diese grausame Lieferkette den preisbewussten KonsumentInnen von Hühnerbrust, Nuggets, Wings & Co in irgendeiner Form schmackhaft zu machen ist. Aber wir können fragen: Was macht das mit uns Menschen, wenn wir so mit anderen Lebewesen umgehen?

Die wieder aufgeflammte Debatte um das freiwillige unverbindliche deutsche Tierwohl-Label1 (das Geflügel ja zunächst gar nicht einschließt) erscheint angesichts solcher Strukturen (und auch mit Blick auf die lange Vorgeschichte der Initiative) eher wie der Versuch zur Verbraucher-Beruhigung, wenn nicht Einlullung. Das Tierwohl-Label ist ein zu verzagter, zu kleiner Schritt. Ein mutiger und ehrlicher Ansatz, unseren Noch-Fleischverzehr sowohl auf ein ökologisch verträgliches Ausmaß (=> Special „Welternährung“ Heft 7/2019) zu bringen – zu realistischen Kosten2 für VerbraucherInnen und auskömmlichen Erträgen für ErzeugerInnen – und Nutztiere als Lebewesen und nicht als Ware zu behandeln, ist es nicht.

Ihr Udo Maid-Kohnert

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1 www.bmel.de/DE/Tier/Tierwohl/_texte/Einfuehrung-Tierwohllabel.html 
2 Nach der Methode des total cost accounting (Vollkostenrechnung) werden alle durch Produkte und Dienstleistungen verursachten Kosten, also auch Entsorgungskosten und Umweltschäden, im Preis berücksichtigt und so für die VerbraucherInnen spürbar. So können z. B. durch Intensivlandwirtschaft bedingte Kosten der Grundwasserbelastung nicht auf die kommunalen Trinkwasserkosten verlagert werden.



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 8/2019 auf Seite M441.

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