Editorial 10/14: Stubensau

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler,
Herausgeber

Ich habe sie noch gesehen, als Kind, wenn ich meinen Großvater auf seinen tierärztlichen Praxisfahrten begleitete. Vorwiegend bei „Häuslern“ lebte sie in der (Wohn)Küche in einer Ecke neben dem Ofen. Sie war reinlich wie die Schweine generell, gut genährt von den Abfällen der Familie und wach wie ein Hund. Die Kinder haben geweint, wenn sie geschlachtet wurde. Wie ihr Fleisch geschmeckt hat, weiß ich nicht mehr, es war sicherlich reichlich fett.

 Bis heute hat sich hinsichtlich der Schweinerassen, der Aufzucht und der Fütterungsbedingungen vieles geändert, die Schweinemast wurde perfektioniert, aber auch unpersönlicher mit vielen unliebsamen Folgen. Heute weint kein Kind mehr, wenn die Schweine in Massen unter unwürdigen Bedingungen transportiert und danach geschlachtet werden. Die Seelchen der Haus-Nutztiere werden ebenso sehr mit Füßen getreten wie die der Heimtiere verpäppelt werden.

Muss das sein, weil wir alle billig satt werden und/oder unseren Spaß beim Grillen und Essen haben wollen? Müssen wir das wirklich oder geht es auch etwas reduzierter? Das ‚Haus unserer Ernährung‘, zumindest in den Industrieländern, ist zu groß dimensioniert, quantitativ (Adipositas) und qualitativ (Luxus).

Wer in den Schwellenländern zu Wohlstand kommt, imitiert das Verzehrverhalten in den Industriestaaten und verlangt ebenfalls nach Fleisch. Dabei wächst die Weltbevölkerung unaufhaltsam weiter und fordert immer mehr. In diesem Heft (S. 152–159) werden Notwendigkeiten und Möglichkeiten aufgezeigt, die tierische Produktion einzudämmen und gleichzeitig einen Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstoßes zu leisten. Bei allem Idealismus wird das nicht so schnell gehen. Trotzdem müssen wir aus verschiedenen Gründen damit anfangen.

Bei intensiver Befassung mit der Thematik wird sich auch zeigen, inwieweit die Berechnungen und Gegenrechnungen zu Nachhaltigkeitsfragen stimmen bzw. modifiziert werden müssen und wo ein Kompromiss möglich ist und notwendig wird. Denn das menschliche Verhalten ist träge und nur langsam zu ändern. Weltanschauliche, z. B. vegetarische Gedanken können den Anstoß in die gewünschte Richtung geben, sind aber sicher nicht das Alleinheilmittel.

Den Status des Stubenferkels besitzen die heutigen Schweine in der Massenhaltung nicht mehr. Es wäre aber schön und ein guter Anfang, wenn wir uns beim Umgang mit all unseren Nutztieren wieder (imaginär) an die Stubensau erinnern würden.

Bleiben Sie respektvoll, es grüßt Sie

Ihr  Helmut Erbersdobler

Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 10/14 auf Seite M525.

 

Die Ernährungs Umschau ist mit Impact Factor gelistet im Indexed Web of Knowledge, www.isiknowledge.com
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