Leserbriefe: Low-FODMAP-Diät – Ein Hype um nichts?

  • 14.12.2015
  • Print-Artikel
  • Christiane Schäfer
  • Imke Reese
  • Beatrice Schilling
  • Claudia Ehrlicher
  • Insa Raabe-Jost
  • Petra Funk-Wentzel
  • Daniel Gianelli
  • Gertraud Haberecht
  • Anja Waßmann-Otto
  • Iris Flöhrmann, Stefanie Metty

Zu diesem Beitrag in Heft 9 der Ernährungs Umschau haben uns zahlreiche Zuschriften erreicht, von denen wir nachstehend einige in teilweise gekürzter […] Form wiedergeben. 

Diagnostische Eliminationsernährung für 2–6 Wochen

[…] Die von Reese und Schäfer aufgestellten Thesen 2–4 sind schlicht […] falsch! Die FODMAPs- Forscher betonen ja gerade, dass Fruktose und Laktose nur bei einer Intoleranz bzw. Malabsorption als FODMAPs gelten und nur dann eingeschränkt werden müssen. Sie warnen auch davor, die strenge Phase längerfristig durchzuführen, unter anderem wegen der unterdessen bekannten, möglicherweise negativen Auswirkungen auf die Darmflora. Wenn das in Deutschland nicht so kommuniziert und gemacht wird, darf das nicht dem FODMAPs-Konzept als solchem angelastet werden. Sondern es scheint an einer guten Umsetzung in der Praxis zu fehlen. […]

Die FODMAPs-arme Ernährung ist deshalb ein Teil der Diagnosestellung: Sie ist eine diagnostische Eliminationsernährung für 2–6 Wochen, welche zur Identifizierung derjenigen Personen führt, welche von einer FODMAPs-Einschränkung profitieren. […] Ziel ist, die FODMAPs-reichen Nahrungsmittel nur soweit nötig einzuschränken. Dies nicht nur wegen der präbiotischen Wirkung gewisser FODMAPs, sondern auch, um die Ausgewogenheit der Ernährung und die Anwendung im Alltag zu erleichtern. Eine Langzeitstudie zeigte, dass die FODMAPs-Einschränkung längerfristig nur zu 50 % nötig ist für eine individuell gute Beschwerdekontrolle.[…]

Die Forscher betonen zudem einhellig, dass das FODMAPs-Konzept nur in Begleitung einer erfahrenen Ernährungsfachkraft durchgeführt werden sollte. In der Schweiz und in Österreich gibt es Weiterbildungen und Arbeitsgruppen zu diesem Thema, wo die Anwendung, die Möglichkeiten und Grenzen des FODMAP-Konzeptes besprochen werden. In Österreich ist soeben ein Beratungsstandard FODMAPs-arme Ernährung erschienen.

Das FODMAPs-Konzept ist neu und es gibt tatsächlich noch einige offene Fragen. Die Empfehlungen werden sich vermutlich in den nächsten Jahren noch verändern bzw. verfeinern. […] Ich möchte daher die Ernährungsfachkräfte in Deutschland ermutigen, die neuen Erkenntnisse im Bereich FODMAPs seriös und kritisch zu prüfen und individuell anzuwenden statt sie pauschal abzulehnen.

Beatrice Schilling
Dipl. Ernährungsberaterin FH/BSc
Baden/Schweiz
E-Mail: beatrice.schilling@diets-hin.ch 

Nicht einfach einzuhalten

Mit Interesse habe ich Ihren provokanten Artikel über die Low FODMAP Diaet gelesen. Ich bin als selbständige Dietitian in England tätig – nach Australien wohl das Mutterland der low FODMAP diet.

Hier in England gilt die low FODMAP diet schon seit einer Weile als das Non-plus-ultra in der Ernährungstherapie von Reizdarmpatienten (bei uns IBS). Dietitians können sich im King‘s College London zu Spezialisten ausbilden lassen. Was ich festgestellt habe ist, dass die low FODMAP diet gern auch von Ärzten empfohlen wird und gern als erste Wahl eingesetzt wird, ohne großartig andere Faktoren, wie Lifestyle, Essensverhalten, Stress etc. zu berücksichtigen.

Aber, und das wird vom King‘s College als sehr wichtig kommuniziert, die Diät ist nur vorrübergehend, sollte vom Ernährungstherapeuten begleitet werden. Eine Wiedereinführung der Lebensmittel muss erfolgen. […]

Die low FODMAP diet ist nicht einfach einzuhalten. Besonders hier in England, wo die Leute eher auswärts essen als selbst zu kochen, kann es eine ziemliche Challenge sein. […]

Claudia Ehrlicher
Registered Dietitian
E-Mail: claudia.ehrlicher73@gmail.com 

Den FODMAP-Patienten gibt es nicht

Jede Form der Diät, die zu starken Einschränkungen in der Lebensmittelauswahl führt, hat bei vielen Patienten oft eine zu lange und zu starke Minimierung des Speiseplans zur Folge. Vorübergehend eintretende Besserung und Angst vor der Wiederkehr der Symptome hindert viele Betroffene am Kostaufbau, sofern keine entsprechende Betreuung durch fachlich fundierte Ernährungsberatung erfolgt. Damit beginnt ein Teufelskreis. In den meisten Fällen erreichen Patienten in meiner Praxis Besserung durch individuelle Ernährungstherapie. Ich kann das Fazit der Autorinnen nur unterschreiben! Den FODMAP-Patienten gibt es nicht.

Insa Raabe-Jost
Dipl. oec. troph.
Osnabrück
E-Mail: mail@raabe-jost.de 

Low-FODMAP – keine Pauschaldiät!

Den Autorinnen kann ich nur zustimmen: Bei einzelnen, von Facharzt und spezialisierter Ernährungsfachkraft umfassend betreuten Patienten kann die Low-FODMAP-Strategie eingesetzt werden. In ihrer Grundkonzeption ist es eine Auslassdiät für wenige Wochen und bedarf dann eines strukturierten Kostaufbaus. Ratgeberliteratur und Diätlisten auf Internetseiten sind nach meiner Erfahrung für die Patienten in der Regel höchst verwirrend. Verbotslisten führen – wie bei vielen anderen Unverträglichkeitsthemen – häufig zu einer Kost, die wichtige Nährstofflieferanten vernachlässigt. Im Falle von Low-FODMAP offensichtlich langfristig genau für das Problemfeld selbst, den Darm und seine „Bewohner“.

Petra Funk-Wentzel
Diplom Ökotrophologin
Stuttgart
E-Mail: info@ernaehrungsberatung-stuttgart.de 

Wissenschaftliche Begründung ist in der Tat noch sehr vage

Mit großem Interesse habe ich den Artikel von Reese und Schäfer über FODMAP gelesen. Die wissenschaftliche Begründung ist in der Tat noch sehr vage. Dass der Laie auf solche Pauschaldiäten aufspringt, ist nachvollziehbar.

Ich als Fachperson muss jedoch die Fakten nach wissenschaftlichen Kriterien beurteilen können. Da oft die Zeit fehlt, fundiert Literaturrecherche zu betreiben, bin ich für solch differenzierte Fachartikel sehr froh. Dieser Beitrag gibt mir gute fachliche Hinweise, um selber darauf professionell und kritisch mein Fachwissen aufzubauen bzw. die bisherigen wissenschaftlichen Fakten kritisch beurteilen zu können. In kurzer Zeit gibt der Artikel komprimiert Fakten zur Hand, die ich sonst mühsam, wenn überhaupt, selber erarbeiten hätte müssen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Fortbildungen in dieser Art ergiebig, anregend, konstruktiv und nachhaltig wären.

Vielen Dank für diesen Beitrag und ich hoffe, dass „Im Focus“ in dieser Form weiterbesteht.

Daniel Gianelli
Leiter Gastronomie und Ernährungstherapie
Hochgebirgsklinik Davos
E-Mail: daniel.gianelli@hgk.ch 

Möglichen Diätmissbrauch beachten

[…] Eine definierte „gastroenterologische Basisdiät“ (mit Regeln zum Mahlzeiten-Rhythmus, kleinen Mengen, gut Kauen, Auslassen von Unverträglichkeiten und individuell schwerverdaulicher Lebensmittel…) bzw. Auslassen von FODMAPs findet dann Anwendung, wenn darin ein klarer Vorteil für den Patienten besteht. Wie so oft: Die Dosis macht’s! Eine Anpassung in Richtung FODMAPs als diätologische Intervention kann nur nach diätetischer Diagnose erfolgen. Leider gibt es viel Unwissenheit und Missverständnisse. Eine erfahrene Diätassistenz/Ernährungstherapeutin sollte unbedingt für das Ernährungsmanagement einbezogen werden […]

Stets muss auch der Diätmissbrauch besprochen werden – mit den damit verbundenen Risiken für nachteilige Lebensqualität […]

Gertraud Haberecht
German EU Dietitian für Ernährungsberatung und Diättherapie
Memmelsdorf-Lichteneiche
E-Mail: e-therapie@t-online.de 

Hype mit teilweise grotesken Formen

Wir begrüßen ausdrücklich die von Reese und Schäfer angestoßene Diskussion zum Thema FODMAP-Diet. Aktuell gibt es besonders bei Ärzten, Patienten und in der Presse einen Hype, der diese Diätform als „das Heilmittel“ feiert. Dabei nimmt das Ganze teilweise groteske Formen an. So wurde kürzlich einer Patientin, die wegen eines Harnweginfekts vom Urologen behandelt wurde und dort wohl auch Durchfall ansprach, gleich die Low-FODMAP- Diät angeraten! Dies ohne jegliche Diagnostik bzw. Vorliegen eines Reizdarms!

Wir halten es deshalb für angebracht, dass wir Ernährungsfachkräfte uns mit dieser Kostform und ihren Auswirkungen kritisch auseinandersetzen. Im Moment sehen wir die allgemeine Tendenz, Low-FODMAP als „Listentherapie“ umzusetzen und diese als Dauertherapie beizubehalten, obwohl weder im Grundkonzept von Gibson und Shepar d noch in den Ausführungen von Frau Schilling so beschrieben. Die wichtige Botschaft: Das Low-FODMAP- Konzept ist mehr als FODMAP-arme Ernährung und die Ernährungsberatung bei Reizdarm mehr als das Low-FODMAP-Konzept kommt leider gar nicht rüber! […]

Dipl. oec. troph Iris Flöhrmann
Diätassistentin
Ahrensburg
Stefanie Metty
Diätassistentin
Schwabach
E-Mail: info@ernaehrungsberatung-stormarn.de 

Stellungnahme des Arbeitskreises Diätetik in der Allergologie (ak-dida) zum Thema Low-FODMAP-Diät (Auszug)

Zahlreiche auf dem Markt befindliche Patientenratgeber schüren die Popularität des Konzepts und forcieren sogar eine Anwendungserweiterung auf andere, über das RDS hinausgehende Verdauungsstörungen. Zudem wird die individuelle Kostgestaltung ohne langfristige Karenzempfehlungen, wie im Ursprungskonzept fest verankert, in den meisten aktuellen Empfehlungen zu wenig beachtet.

Der ak-dida sieht diese Entwicklung mit Besorgnis und positioniert sich deutlich gegen die pauschalisierte Anwendung einer umfassenden und einschneidenden Low-FODMAP-Diät als dauerhaftes Ernährungskonzept bei Patienten mit gastrointestinalen Symptomen. Das ernährungstherapeutische Vorgehen bei Reizdarmsyndrom sollte – wie von der S3-Leitlinie Reizdarm gestützt– vielmehr auf einer fundierten Anamnese mit Überprüfung der medizinischen Befunde und Auswertung von Ernährungs- Symptomprotokollen basieren und in individuelle, symptomorientierte Empfehlungen überführt werden. Eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit dem Ernährungskonzept der Low-FODMAP-Diät in der ernährungswissenschaftlichen Fachliteratur wurde bereits angestoßen, deren Fortführung wünschenswert ist.

Korrespondenzadresse
Dr. Anja Waßmann-Otto
Hamburg
E-Mail: anja_wassmann@web.de 

Schlusswort der Autorinnen

Wir freuen uns über die angeregte Diskussion, die unsere kritische Auseinandersetzung mit dem FODMAP-Konzept entfacht hat. Diese Diskussion ist sinnvoll und wichtig, da die breite Anwendung des FODMAP-Konzepts nicht selten im Widerspruch zu der eigentlichen Idee der Urheber steht, individuell und ohne langfristige Verbote zu arbeiten. Was beim Studieren der Leserbriefe auf den ersten Blick wie eine Kontroverse erscheint, zeigt bei näherem Hinsehen doch eine erstaunlich breite Übereinstimmung:

1. Eine ernährungstherapeutische Intervention sollte symptomorientiert und individuell erfolgen und
2. immer durch eine Ernährungsfachkraft betreut werden.
3. Pauschale Diätvorgaben, die ohne fachliche Begleitung durchgeführt werden, sind eindeutig abzulehnen.

Wir wünschen uns, dass auch in anderen Fachkreisen ähnlich konstruktiv diskutiert wird und die o. g. Botschaften nicht nur bei Ernährungsfachkräften, sondern auch unter den kooperierenden Fachdisziplinen eine breite Anerkennung finden.

Dr. Imke Reese
München
-> www.ernaehrung-allergologie.de

Christiane Schäfer
Diplom-Oecotrophologin (Univ.)
Hamburg
-> www.christianeschaefer.de 



Hinweis:
Die vollständigen Texte der Leserbriefe als pdf finden Sie hier

Das könnte Sie interessieren
Sternchensuppe weiter
Die Rolle der Ernährungstherapie in der Behandlung von Essstörungen weiter
30 Jahre Diätassistenten-Gesetz: VDD fordert „Novellierung jetzt!“ weiter
Verbände fordern verstärkte Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen zur Steigerung der... weiter
61. Wissenschaftlicher Kongress der DGE weiter
Pflanzliche Speisefette und -öle weiter