Editorial 1/2019: Licht und Schatten

Auch 2018 hat sich der globale Erfolgstrend zu einem statistisch höheren Lebensalter national fortgesetzt. In Deutschland kann ein um die Jahreswende geborener Junge von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 78,2 Jahren ausgehen, ein Mädchen sogar von 83 Jahren. Ein jetzt 60-Jähriger kann statistisch gesehen mit 21,6 weiteren Lebensjahren, eine gleichalte Frau mit weiteren 25,1 Jahren rechnen.

Aber wo Licht ist, da ist bekanntlich auch Schatten. Nicht nur belegt laut der kürzlich in Lancet publizierten Global Burden of Disease Study Deutschland in Westeuropa damit den letzten Platz (mittlere Lebenserwartung für Neugeborene hier: 79,5 Jahre (männlich), 84,2 Jahre weiblich). Hinzu kommt, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen von der steigenden Lebenserwartung gleichermaßen profitieren. Auch bei uns leben Menschen mit einer höheren Bildung, gutem Beruf und Verdienst durchschnittlich bis zu 12 Jahre (!) länger gegenüber weniger Privilegierten mit geringem Bildungsniveau und Sozialstatus. Diese gravierende soziale Ungerechtigkeit und die sich daraus ergebende soziale Sprengkraft wird von Öffentlichkeit und Politik bisher kaum wahrgenommen.

Die ForscherInnen sind sich weitgehend einig, dass die großen Unterschiede in der Lebenserwartung neben psychischen Faktoren wie Stress und anderen Belastungen hauptsächlich durch riskanteres Gesundheitsverhalten der benachteiligten Gruppen zu erklären sind. Gegenüber bürgerlichen Kreisen neigen diese eher dazu, mehr zu rauchen und zu trinken, sich weniger zu bewegen und sich weniger gesundheitsförderlich zu ernähren. Zusammen genommen sind dies die wichtigsten Risikofaktoren für vorzeitige Todesfälle durch Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs.

Die Faktenlage zu diesen ungesunden Lebensstilen ist eindeutig: Eine 50-jährige Person, die seit dem Eintritt ins Erwachsenenalter nicht geraucht und sich regelmäßig mittelmäßig stark bewegt hat, dem Alkohol allenfalls mäßig zugetan war, eine gesundheitsförderliche Ernährung eingehalten sowie sich im normalen Gewichtsbereich bewegt hat, kann statistisch gesehen mit 43 weiteren Lebensjahren rechnen – eine in allen Punkten ungesünder lebende Person nur noch mit 29.

Die Politik hat inzwischen zwar erkannt, dass es eine verbesserte Gesundheit ohne bessere Ernährung nicht gibt und mit großem Getöse eine Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten vorgestellt. Offizielle und inoffizielle Verbraucherschützer, Krankenkassen und Fachgesellschaften kritisieren darin aber die deutliche Handschrift von Ernährungsindustrie und Lebensmittelhandwerk sowie die alleinige Fokussierung auf freiwillige Maßnahmen (=> Beitrag von Dr. Karin Bergmann ab Seite M30). Dabei steht der Ernährungspolitik ein ganzes Bündel wirksamer ernährungspolitischer Maßnahmen zur Verfügung. Andere Länder trauen sich weit mehr, haben Außenwerbung für Zigaretten verbannt, erheben Steuern auf „ungesunde“ Lebensmittel, schränken an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung massiv ein, fördern verbindlich gute Schulverpflegung, Ernährungsbildung und Sportunterricht, um soziale Unterschiede auszugleichen.

Ein großer Wurf sieht anders aus, wenn wir nicht weiter die Schlusslaterne behalten wollen.

Ihr Helmut Heseker



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 1/2019 auf Seite M1.

Das könnte Sie interessieren
Kongressluft, Kongressduft weiter
Schnittstellendialog „From Farm to Fork“ weiter
Definition „pflanzenbasierte Ernährung“ – ein Anstoß zur Diskussion weiter
Erfolgreicher VDD-Bundeskongress für Ernährungstherapie weiter
Gemeinsam stark: Die Kraft des Ehrenamts in unserem Verband weiter
Prof. Dr. Heiner Boeing neues Ehrenmitglied der DGE weiter