Verwirrung und Kritik: BMEL-Ernährungsreport 2016

Gleich zu Anfang des Jahres, am 5. Januar, hatte Bundesernährungsminister Christian Schmidt zusammen mit dem Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Professor Manfred Güllner, unter dem Slogan „Deutschland, wie es isst“ die Ergebnisse einer telefonischen Umfrage als „Ernährungsreport 2016“ vorgestellt [1]. Die der Befragung zugrunde liegende Stichprobe war mit 1 000 Befragten (aus der Wohnbevölkerung ab 14 Jahren in Deutschland mit ausreichend deutschen Sprachkenntnissen) geringer als z. B. die Stichprobe des ZDF-Politbarometers (ca. 1 250 Befragte).

Mittlerweile wurde der Report von verschiedenen Organisationen scharf kritisiert: „Landwirtschaftsminister beschönigt Ernährungssituation in Deutschland“ (Deutsche Diabetes Gesellschaft [DDG]) [2]. Foodwatch verglich die tatsächlich erhobenen Daten [3] mit der gekürzten Publikation und attestiert „Suggestive Fragen, falsche Angaben, verzerrte Darstellungen“ [4].

Die Namensähnlichkeit hat auch bereits zu Verwechslungen [5] mit dem umfangreichen Ernährungsbericht der DGE gesorgt, der ebenfalls 2016 erscheinen wird. Auf Nachfrage erläuterte das Ministerium: „Der BMEL Ernährungsreport ‚Deutschland, wie es isst‘ ist eine politische Standortbestimmung und ein Stimmungsbild zu Entwicklungen, Trends und Verbrauchererwartungen in den Bereichen Ernährung und Landwirtschaft. Die repräsentative Umfrage wurde zum Jahresbeginn 2016 zum ersten Mal vorgestellt und soll in Zukunft fortgeführt werden. Der DGE-Ernährungsbericht ist eine im Vierjahresturnus erscheinende Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die Ernährungsberichte schreiben Daten zur Ernährungssituation in Deutschland fort und stellen jeweils aktuelle Forschungsergebnisse vor. Sie dienen als wissenschaftlich fundierte, objektive Informationsquelle für alle in der Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und den Medien Tätige sowie für Mittlerkräfte.“



Kommentar: Fragen der (grünen) Woche

Es kann nie schaden, mehr über die Essvorlieben und das Ernährungsverhalten der Menschen zu erfahren. Denn nicht selten berichten wir in der Ernährungs Umschau über die so genannte Verbraucher-Verwirrung, die tatsächliche oder empfundene Unsicherheit der Konsumenten im Umgang mit Lebensmitteln und dem scheinbar schwierigen Weg zur gesund erhaltenden Ernährung. Doch nun bin ich selbst verwirrt: Während Fachgesellschaften und Bundesforschungsinstitute Monate bis Jahre in Konzeption, Datenerhebung und Auswertung z. B. der Nationalen Verzehrsstudie oder der Ernährungsberichte stecken, geht es ja offensichtlich viel schneller. Mal eben 1 000 Leute telefonisch befragen, die Ergebnisse zu kurzen Slogans auf 24 plakativen Seiten eindampfen: So „spürt [man] Trends auf und bildet Entwicklungen ab“. Der Erkenntnisgewinn ist eher verhalten: „81 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 14 und 18 Jahren geben an, sehr gern zu kochen! … Die unter 19-Jährigen kochen jedoch noch sehr selten – 30 Prozent von ihnen kochen normalerweise gar nicht selbst.

Nun ist es unfair, dem ersten Report dieser Art vorzuwerfen, dass er noch keine Trends aufspüren kann, da muss man dann wohl die Reporte der Folgejahre abwarten. Bedenklich scheint mir doch, wie leichtfertig hier von „Angaben der Befragten“ auf „So isst Deutschland“ geschlossen wird. Zwischen „…geben an, Fleisch zu essen“ und „…essen Fleisch“ besteht nun mal ein Unterschied. Der Deutungsstreit um die Befragungsergebnisse – mediengerecht hochgespielt im Umfeld der Grünen Woche – spiegelt die teilweise konträren Interessenlagen im Ernährungs-, Landwirtschafts- und Gesundheitswesen wider. Für die Zukunft wäre eine bessere Abstimmung aller Gruppen, die sich um Gesundheit, Nachhaltigkeit und genussvolles Essen und Trinken der Bevölkerung bemühen, sicher wünschenswert. Sonst wird aus „Deutschland, wie es isst“ lediglich „Politik, wie sie nun mal ist“!

Dr. Udo Maid-Kohnert, Pohlheim



Quellen:
1. www.bmel.de/DE/Ernaehrung/_Texte/Ernaehrungsreport2016.html Zugriff 26.01.16
2. www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/presse/ddg-pressemeldungen/meldungen-detailansicht/article/bmel-ernaehrungsreport-2016-der-landwirtschaftsminister-beschoenigt-ernaehrungssituation-in-deutsch.html  Zugriff 26.01.16
3. www.tinyurl.com/tabellen-ernaehrungsreport Zugriff 26.01.16
4. Foodwatch, Pressemeldung vom 14.01.2016
http://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4904471?nlid=96663_3142  Zugriff 26.01.16



Den Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 02/16 auf Seite M70.

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