Zu guter Letzt 02/2016: Winternachlese

Nein, richtig Winter war es in vielen Regionen Deutschlands wieder einmal nur aus meteorologischer, nicht aber aus real gefühlter klimatischer Sicht. Und dort, wo es tatsächlich zeitweise einmal deutlich unter null war, dürfte mithilfe von Funktionskleidung und zentralgeheizten Räumen kaum jemand zu einem winterlich bedingten erhöhten Energieverbrauch gekommen sein. Gleichzeitig versorgen uns Supermärkte dank computergestützter Hors-sol-Produktion1, minutiös getimter Produktionsketten und globalem Handel jahreszeitenunabhängig tagtäglich mit denselben Lebensmitteln. Allenfalls die aktuellen Preise lassen bei Frischobst und -gemüse erahnen, mit welcher Jahreszeit wir es außerhalb der Marktmauern gerade zu tun haben.

Vor gerade einmal zwei Generationen gab es viele Lebensmittel nur saisonbedingt und diese wurden – aufgrund allgemeiner Knappheit – wirklich wertgeschätzt. Wer von uns Älteren erinnert sich – nach der monatelangen Saure-Gurken- und Sauerkrautzeit – nicht an das erste frische Gemüse im Mai, an die ersten roten Erdbeeren und Kirschen im Juni, den ersten Sommerapfel im August und – dann schon gegen Ende der Freilandsaison – die Martinsgans im November.

Früher – in der „guten alten Zeit“ – prägten neben Sonnenaufgang und -untergang die Mahlzeiten den Tagesrhythmus und religiöse Vorgaben oder saisonale Traditionen den Jahresablauf und Speiseplan unserer Vorfahren, mit den kirchlichen Festtagen als den jährlichen Highlights. Dank Wikipedia werden diese Bräuche und ihre Hintergründe zwar für kommende Generationen in digitalisierter Form überliefert, sind aber mehrheitlich kaum noch bekannt.

Im Mittelalter war in der Fastenzeit täglich nur eine Mahlzeit erlaubt, in der Regel am Abend. Der Verzehr vieler tierischer Produkte wie Fleisch, Milchprodukte, Eier sowie Alkohol waren verboten. Darauf geht u. a. die Tradition zurück, in den Fastnachtstagen vor Beginn der Fastenzeit Backwaren (z. B. Krapfen) mit Zutaten wie Milch, Eiern, Schmalz oder Zucker herzustellen, um verderbliche Vorräte zu verbrauchen. Der Fastnachtsdienstag wird daher im französischsprachigen Raum Mardi Gras (= fetter Dienstag) genannt.

Nun gut, rigides Fasten fördert den Jo- Jo-Effekt und ist in unserer heutigen heterogenen und säkularisierten Leistungsgesellschaft wenig zeitgemäß. Vielleicht sollten wir die „Fastenzeit“ zeitgenössisch neu interpretieren und einfach zu einer Zeit des Maßhaltens und des bewusster Essens entwickeln. Für die einen ist das dann vielleicht eine Phase mit „Clean Eating“, für die anderen mit „flexitarischer Ernährung“, mit „mehr Bio“ oder klassischerweise „alkoholfrei“ und „ohne Naschereien“. Das könnte dann zugleich die Vorfreude auf die österlichen Köstlichkeiten steigern, sodass dieser Feiertag nicht wieder so dahinplätschert wie das bereits vergessene Weihnachtsfest.

Ihr Helmut Heseker

1 Anbau in erdfreien Substraten (frz. hors sol, außerhalb des Bodens), z. B. Mineralwolle; i. d. R. im Gewächshaus



Den Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 02/16 auf Seite M128.

PDF Artikel Download für Abonnenten:

Das könnte Sie interessieren
Sternchensuppe weiter
Die Rolle der Ernährungstherapie in der Behandlung von Essstörungen weiter
30 Jahre Diätassistenten-Gesetz: VDD fordert „Novellierung jetzt!“ weiter
Verbände fordern verstärkte Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen zur Steigerung der... weiter
61. Wissenschaftlicher Kongress der DGE weiter
Pflanzliche Speisefette und -öle weiter