Editorial 10/2025: Convenience – nicht nur eine Frage der (Re-)Formulierung

Da stehen sie ungekühlt im Regal des Supermarktes: Feinkostprodukte, Salatcremes und Würzsoßen mit teilweise erstaunlich langem Mindesthaltbarkeitsdatum. Nichts trennt sich, alles ist strukturstabil, nichts wird „krisselig“, nichts flockt aus – u. a. dank Dickungsmitteln, Stabilisatoren und Emulgatoren. Wir als Verbraucher*innen „wollen“ das so: immer verfügbar für den Spontankauf, leichte Bevorratung, ansprechende Optik und gutes Mundgefühl.

Im Darm(mikrobiom) sieht es dann möglicherweise anders aus: Da trennen sich gap junctions („leaky gut“), verändern sich Mucus-Struktur und Zusammensetzung der Mikrobiota – mit noch nicht voll verstandenen Auswirkungen auf unser Immunsystem, Entzündungsreaktionen und andere gesundheitliche Parameter.
Weiter geht’s beim Einkauf: Kekse, Schokoriegel, Fertiggerichte, Softdrinks, Milchprodukte – kaum ein Produkt wird so hergestellt, wie wir es in der eigenen Küche selbst machen würden. Bei pflanzlichen Alternativen für Fleisch und Milchprodukte wäre dies teilweise gar nicht oder nur mit viel Aufwand möglich. Der Anteil der stark verarbeiteten Produkte im Handel (und auf unseren Tellern) steigt; entsprechend ist die Sorge um deren gesundheitlichen Auswirkungen Gegenstand vieler Debatten.1 Und hier wird es problematisch: Sind für die gesundheitlichen Wirkungen Anzahl und Art der Verarbeitungsschritte relevant, oder sind es einzelne Zutaten, deren Cocktail oder Matrixeffekte? Im Rahmen der diesjährigen Bonner Ernährungstage befasste sich die Arbeitstagung der DGE mit dem Konzept „hochverarbeitete Lebensmittel“ (s. Bericht auf S. M624). Die Veranstaltung machte deutlich, dass belastbare Forschungsdaten klare Definitionen erfordern: Was ist Rezeptur/Formulierung, was ist Verarbeitung? Was ist „haushaltsüblich“ und was nicht?
Ernährungsfachkräfte mögen ein „Bauchgefühl“ dafür haben und die üblichen Verdächtigen kennen, aber für gute epidemiologische Studien reicht das nicht. Durch die unscharfen, je nach Land sogar unterschiedlich interpretierten Begriffe, z. B. zur NOVA-Klassifikation, wird der Begriff „hochverarbeitet“ sonst schnell ähnlich unscharf wie die „mediterrane Ernährung“. Auch der Zubereitungsort ist nicht unbedingt hilfreich: Das im heimischen Toaster verkohlte Brot ist nicht gesünder als die unter geregelten Temperaturen vorfrittierten Pommes aus industrieller Produktion!
Höchste Zeit für die Wissenschaft also, hier an Begriffsklarheit, sauberen Klassifikationen und neu aufgesetzten Studien zu arbeiten. Die Zeit können wir als Verbraucher*innen ja nutzen, um durch eigene Zubereitungserlebnisse unsere Einkaufs-, Geschmacks- und Kochkompetenz zu stärken. Oder, so der Praxistipp der Tagung: Die Pillendose mit einer Nussmischung vorbereiten, damit wir beim nächsten Heißhunger eine gesunde Alternative zum Schokoriegel zur Hand haben. Ich werde es ausprobieren!

Ihr Udo Maid-Kohnert

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1 Lesen Sie hierzu den Beitrag „Gesundheitliche Aspekte hochverarbeiteter Lebensmittel“ von Jutta Dierkes in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 1/2025.



Dieses Editorial finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 10/2025 auf Seite M585.

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