Nachschlag 10/2025: Unsoziale Medien
- 15.10.2025
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- Helmut Heseker
Inzwischen sind Social-Media-Plattformen wie TikTok, YouTube und Instagram zu wichtigen Quellen für Gesundheits- und Ernährungsinformationen besonders für junge Nutzer*innen geworden. Ihre milliardenstarke globale Nutzergemeinde macht sie zu einem leistungsstarken Instrument für die Verbreitung von Themen rund um Ernährung, Kochinspiration und Gewichtsmanagement. Untersuchungen zeigen jedoch, dass derartige Inhalte überwiegend von nicht-fachkundigen Inhaltsersteller*innen (sog. Content Creator) dominiert werden.
So zeigen einige Untersuchungen, dass bis zu 98 % der gesundheitsbezogenen Inhalte auf TikTok irreführende Behauptungen enthalten. Interessenkonflikte bzw. Werbung werden nicht offengelegt und oft werden unrealistische oder gesundheitsgefährdende Versprechen geteilt. Der Grund hierfür ist einfach zu erklären: Content Creator benötigen ständig neue Inhalte – möglichst kontrovers, verkürzt, effektheischend oder schockierend – um angeklickt zu werden und Reichweite zu generieren.
Gerade bei jungen Menschen, die anfällig für unregulierte, algorithmengesteuerte Inhalte sind, können sich Fehlinformationen über Ernährung schnell verbreiten. Unangemessene gewichtsnormative Botschaften können zu einer Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und zur Entwicklung von Essstörungen beitragen (z. B. SkinnyTok). Zu den besonders gefährlichen TikTok-Ernährungstrends zählen außerdem Trink- und (Fr-)Ess-Challenges, Diäten mit extremen Einschränkungen, Schlucken von unverdünntem Pre-Workout-Pulver oder aktuell: die Carnivore Diet (reine Fleischdiät) mit vollständigem Verzicht auf pflanzliche Lebensmittel.
Glaubwürdige, evidenzbasierte Ernährungsinformationen von Ernährungsexpert*innen werden viel weniger wahrgenommen, da der Algorithmus von TikTok v. a. kurze, ansprechende Videos priorisiert, die stark auf Viralität und weniger auf Glaubwürdigkeit und Genauigkeit der Inhalte abzielen.
Für den Schutz besonders gefährdeter Gruppen sind eine strengere Moderation und die Kenntnis evidenzbasierter Ernährungsinhalte unerlässlich. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass politische Entscheidungsträger*innen im digitalen Zeitalter endlich Richtlinien für die mächtigen Social-Media-Plattformen entwickeln, damit diese algorithmische Anpassungen vornehmen und evidenzbasierten Inhalten Priorität einräumen. So könnten die Sichtbarkeit sensationslüsternder Inhalte verringert und gefährliche Fehlinformationen eingedämmt werden. Notwendig ist jetzt ein stärkeres Engagement, bspw. von Ernährungsfachkräften, um sich mit reichweitenstarken Kommunikator*innen zu verbünden oder diese mit fachkundlichen Inhalten durch bspw. Kooperationen zu versorgen.
Ihr Helmut Heseker
Diesen Artikel sowie eine Vorschau auf das nächste Heft finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 10/2025 auf Seite M640.