Molekulare Biotechnologie: Hunger und entzündliche Darmerkrankungen

Weltweit sind mehr als 1 Mrd. Menschen mangelernährt, in Europa sind es etwa 30 Mio. Die oft dramatischen Folgen der Mangelernährung machen sie somit zu einer der häufigsten Todesursachen. Bei einem Mangel an Eiweiß kommt es v. a. zu Symptomen wie Störungen des Immunsystems, Durchfall und Darmentzündungen, die den Körper schwächen und oft zum Tod führen. Wie der molekulare Mechanismus funktioniert, wusste man bisher kaum.

Die Wissenschaftler Thomas Perlot und Tatsuo Hashimoto aus der Forschungsgruppe von Josef Penninger am Institut für Molekulare Biotechnologie , können nun erklären, wie Mangelernährung zu Immunstörungen und Darmentzündungen führt, veröffentlicht wurden die Studienergebnisse Ende Juli in der Fachzeitschrift „Nature“.Sie arbeiteten am Enzym ACE2, das an Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Herzversagen beteiligt ist.

Die Forscher machten die Entdeckung, dass das Enzym jedoch auch die Aufnahme der essenziellen Aminosäure Tryptophan aus dem Darm reguliert. Mäuse, die den Regulator ACE2 nicht besitzen (ACE2 knock-out Mäuse), können Tryptophan kaum mehr aus dem Darm aufnehmen und entwickeln alle Symptome einer Eiweiß-Mangelernährung: Immunschwäche im Darm, Durchfall, Darmentzündungen. Im gesunden Organismus bleibt ein Teil des aufgenommenen Tryptophans lokal in der Darmschleimhaut und fördert dort die Produktion sog. Defensine, die wie ein natürliches Antibiotikum zur Abwehr von Bakterien wirken.

Zuwenig Tryptophan bedeutet folglich zu wenige Defensine, was zu einer anderen Bakterienzusammensetzung im Darm führt und die dort angesiedelte Darmflora stört. Eine gestörte Darmflora wiederum führt zu Durchfall und Darmentzündungen.

In den Studien, die die Wiener gemeinsam mit Philip Rosenstiel und anderen Kollegen der Universität Kiel durchführten, zeigte sich, dass die vermehrte Zugabe von Tryptophan über die Nahrung den Mäusen, die massiv an Darmentzündungen litten, helfen konnte. Die Darmflora der Tiere normalisierte sich wieder, Entzündungen gingen zurück und die Mäuse zeigten sich auch weniger anfällig für erneute Darmentzündungen. Menschen, die an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen leiden, könnte man mit diesem neuen Therapieansatz möglicherweise helfen. Zudem wären Nebenwirkungen durch die verstärkte Zufuhr einer ohnehin in der Nahrung vorkommenden Aminosäure kaum zu befürchten.

Das Wissen um diese molekularen Zusammenhänge könnte genutzt werden, um über eine spezielle Diät bzw. die Zufuhr bestimmter Nahrungsbestandteile einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber Darmentzündungen entgegenzuwirken.
Literatur: (2012) ACE2 links amino acid malnutrition to microbial ecology and intestinal inflammation. Nature. Quelle: Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH (IMBA), Pressemeldung vom 25.07.2012

Den Artikel finden Sie in Ernährungs Umschau 08/12 auf Seite 434.

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