Rezensionen und Neuerscheinungen 09/01

Futter fürs Volk
Berthold Gaßmann, Bergholz-Rehbrücke

Der Titel ist epigrammatisch, obgleich in anderem Sinnne, als beabsichtigt. Die in Teilen umgangs- und vulgärsprachliche Diktion macht dies deutlich. Und aliut eloquentia, aliud loquentia, wenn Emotionen die Sprache diktieren und Eifern zum Geifern zu verkommen droht. Dergleichen hat noch niemanden überzeugt, selbst wenn man fortgesetzt "liebe Leser" anspricht. Im Übrigen wissen wir ja alle, dass das Leben lebensgefährlich ist und wir selbst daran schuld sind.

Große Fachmessen und -ausstellungen unterrichten nicht nur Autoren, sondern jedermann, woraus ihr Angebot besteht und wofür es dient. Auch Supermärkte unterschlagen die kennzeichnende Zusammensetzung von Fertiggerichten und zweckbestimmten Zutaten nicht. Ebenso wenig werden Bemühungen um eine Harmonisierung des Arznei-, Lebensmittel- und Wettbewerbsrechts in der EU geheim gehalten. Die DGE verbreitet ihre 10 Regeln für eine vollwertige Ernährung gleichermaßen aufwändig wie ihre Beratungsstandards, Referenzwerte und anderen Empfehlungen. Dass der "mündige" Verbraucher sie nicht befolgt ("Verbraucherignoranz," S. 17), weil er "nicht bereit ist, für ordentlich frisch gekochtes Essen auch den notwendigen Preis zu zahlen" (S. 35) oder für die Selbstzubereitung Kraft und Zeit aufzubringen, kann man der Ernährungswissenschaft und deren allzu großen Industrienähe (S. 47) wahrlich nicht anlasten.

Die Diktatur der Agrarwirtschaft und der Lebensmittelindustrie (z. B. S. 25), expressis verbis das Diktat der Einheitsbreie und des Einheitsgeschmack (S. 11 ff), vulgo das Essen aus dem Fressnapf der Nahrungsmittelgiganten (S. 25), oder gar bewusste Täuschungen (S. 32) dafür verantwortlich zu machen, entmündigt den Verbraucher und ist schlichtweg töricht. Schließlich wird nicht einmal unterschieden, ob und wann Bedürfnisse und Begehrlichkeiten geweckt oder bedient worden sind. Die Genesis jedenfalls weiß von der "Übermacht der Nahrungsmittelindustrie" (S. 26) noch nichts zu berichten.

Vom Duktus der Werbewirtschaft und der Boulevardpresse unterscheidet sich das Buch lediglich durch Mangel an fundierter Sachkenntnis bzw. durch missionarische Geschäftigkeit. Die Immunabwehr des Menschen fördernde Orotsäure oder die krebshemmenden und gegen Arteriosklerose wirksamen, sonst allenfalls noch in Fischen vorkommenden Omega-3-Fettsäuren der Milch als Argumente für naturnahe Wiesen mit einer Vielfalt von Blumen, Kräutern und Gräsern samt sich darin tummelnden Schmetterlingen, Hummeln und anderen Kleintieren als Argumente ins Feld zu führen (S. 68/71), ist keine Zumutung, sondern lächerlich. Über Vorkommen, Bedeutung und Folgen aus Futtermitteln stammender Rückstände von Organochlorverbindungen, Dioxinen oder von EHEC in tierischen Lebensmitteln unterrichtet man sich besser im Ernährungsbericht 2000.

Die mit Sezierfreude aufgezeigten Chronologien der BSE-Krise und anderer Lebensmittelskandale nehmen Gegenmaßnahmen, verfrühte Schlussfolgerungen, wie z. B. falsche Schuldzuweisungen an Agrarfabriken (S. 160), und Richtigstellungen einfach nicht zur Kenntnis. Prognosen zeichnen zwar Horrorszenarios auf, aber am Ende wird zur richtigen Ernährung nichts anderes geraten als das, was jede seriöse Institution der Ernährungsaufklärung und Verbraucherberatung rät. Was also soll das Gerede vom Restmüll, der an Stelle von Lebensmitteln auf unseren Tisch kommt (Klappentext)? Cui bono überhaupt? Ich habe das Buch gelesen, und, obwohl auf dem Umschlag versprochen, weiß ich nicht mehr als vorher, wie es anders geht. Was "selbstkochende Nudelsuppen" (Umschlag), "frische Vitamine" (S. 22) und vergleichbar neue Schmähungen der deutschen Sprache sind oder bedeuten, habe ich leider nicht erfahren.

Angres, V.; Hutter, C.-P.; Ribbe, L.: Futter fürs Volk. Was die Lebensmittelindustrie uns auftischt. München, Droemer 2001, 397 Seiten, 2 Abb., 13 Tab., geb. DM 36,90.EU09/01

Aktuelle Neuerscheinungen finden Sie in Ernährungs-Umschau 09/01 auf Seite 328.

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