Lebensmittel sind immer auch Symbol, dessen Bedeutung einem steten Wandel unterliegt. © rez-art / iStock / Thinkstock
Lebensmittel sind immer auch Symbol, dessen Bedeutung einem steten Wandel unterliegt. © rez-art / iStock / Thinkstock

Buchrezension: Kulinarische Ethnologie

  • 18.04.2018
  • News
  • Markus Schreckhaas

Kürzlich ist der Sammelband „Kulinarische Ethnologie – Beiträge zur Wissenschaft von eigenen, fremden und globalisierten Ernährungskulturen“ von Daniel Kofahl und Sebastian Schellhaas erschienen. Das Buch sei all jenen empfohlen, die einer erfolgreichen Ernährungsbildung ein ganzheitliches Konzept zu Grunde legen, sich dabei besonders für die sozialen und kulturellen Dimensionen des Essens und Trinkens interessieren und diese zugunsten der eigenen branchenspezifischen Tätigkeit stets neu und mit gebotenem Tiefgang reflektieren möchten.

Daniel Kofahl und Sebastian Schellhaas machen uns mit der Herausgabe von zwölf nahrungsethnologischen Beiträgen das bunte und teilweise herausfordernde Angebot, sich dem großen Themenkomplex der Ernährung durch einen spezifisch gesellschaftswissenschaftlichen Zugang zu nähern.

Kulinarische Inszenierung und Etikettierung kritisch hinterfragt
Buchcover. © transcript
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Die einzelnen Beiträge verfolgen unterschiedliche Perspektiven und sind formal in zwei große Kapitel untergliedert. Im ersten Block sind sieben „Kulinarethnologische Fallstudien“ zusammengefasst, die bezeichnenderweise jeweils exemplarische esskulturelle Phänomene zur Diskussion stellen. Dabei nehmen uns die einzelnen AutorInnen auf eine Reise rund um den Globus mit und eröffnen aktuelle Einblicke in die Esskulturen Indiens, Papua-Neuguineas, Japans, des Andenraums und indigenen Kanadas, aber auch in die Entstehungsgeschichte einer modernen, professionellen und gleichsam globalisierten Küche.

So werden zum Beispiel nahrungsspezifische Distinktionspraktiken und die gleichzeitige Rolle von religiösen Ernährungstabus im urbanen Indien von Pablo Holwitt besprochen. Antje Baecker wiederum erkennt einen Generation Gap in der Rezeption von Nudeln als „neues“, „kommerzielles“ Lebensmittel, das in ein gewachsenes Esssystem der peruanischen Anden vordringt. Dass Lebensmittel immer auch Symbol sind, dessen Bedeutung einem steten Wandel unterliegt, stellt Cornelia Reiher am Beispiel des ambivalenten Verbraucherverhaltens in Japan heraus. Ferdaouss Adda nimmt eine ähnliche Perspektive ein, indem sie die kulinarische Inszenierung und Etikettierung des Konzepts der „Mediterranen Küche“ und der trendigen „New Nordic Cuisine“ kritisch hinterfragt.

Das zweite Kapitel „Kulinarethnologische Forschungsfelder“ bildet einen Block von fünf Beiträgen, die nochmals weiter in eine Reihe theoretischer Aspekte der Gastrosophie einführen. Sie halten uns in all ihrer theoretischen Tiefe vor Augen, dass sich das Verständnis von Esskulturen auf vielen Ebenen Bahn schlägt, wenn wir immer auch auf der Suche nach grundlegenden Strukturen sind, die hinter dem augenscheinlich offensichtlichen Akt des Essens und Trinkens liegen.

Notwendige Einblicke in die Vielschichtigkeit und Diversität menschlicher Ernährung

Thomas Reinhardt bespricht zum Beispiel sehr gelungen und nachvollziehbar die Hintergründe des bekannten klassischen Konzeptes des Triangle Culinaire von Claude Lévi-Strauss. Den vielschichtigen sozio-kulturellen Funktionsebenen von Speisen wiederum spürt Mario Schmidt am spannenden Beispiel der westkenianischen Küche nach, wenngleich hier ethnologische Grundkenntnisse hilfreich sind, um die spezifisch ethnographisch dargestellte „Multiplizität“ des Gegenstandes in ihrer Gänze zu durchdringen.

Ein Glossar beziehungsweise Stichwortverzeichnis findet sich leider nicht, was bei breitangelegten Publikationen zum Thema Ernährung eigentlich immer wünschenswert ist, um einen operablen Zugriff auch für eine fachfremde Leserschaft zu gewährleisten. Alle Beiträge sind aber erfreulicherweise mit erklärenden Fußnoten und einem in der Summe ausführlichen Literaturapparat versehen, so wie wir es von fundiert wissenschaftlichen Arbeiten erwarten.

Insgesamt handelt es sich um ein sehr gut gelungenes Buch, das für sich mutig und zu Recht den Anspruch erhebt, notwendige Einblicke in die Vielschichtigkeit und Diversität menschlicher Ernährung zu bieten. Im besten Sinne einer interdisziplinär und umfassend agierenden Ernährungsforschung bleibt zu hoffen, dass wir künftig vermehrt kulturwissenschaftliche Publikationen nach diesem Vorbild sehen.

Markus Schreckhaas, Regensburg



Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 4/2018.

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