Abstandsmarkierungen und Hinweise in einem Supermarkt: Ein Beispiel für Nudging während Corona © Carolina Diana Rossi
Abstandsmarkierungen und Hinweise in einem Supermarkt: Ein Beispiel für Nudging während Corona © Carolina Diana Rossi

Ein Blick in den Alltag in Deutschland: Nudging – ein Präventionsansatz auch bei Corona

  • 12.06.2020
  • Online PLUS
  • Prof. Dr. Ulrike Pfannes
  • Sibylle Adam
  • Carolina Diana Rossi

Während der Corona-Pandemie wurden viele verschiedene AkteurInnen aktiv, um das Infektionsrisiko gering zu halten. Eine punktuelle Analyse der Präventionsmaßnahmen in (sozialen) Medien und im Handel bzw. Lebensmitteleinzelhandel (LEH) unter Nudging-Gesichtspunkten gibt dieser Beitrag.

Hinweisschilder an einer Theke (Nudge: Erinnerung). © Carolina Diana Rossi
Hinweisschilder an einer Theke (Nudge: Erinnerung). © Carolina Diana Rossi

Auswirkungen von Corona

Im Dezember 2019 machte China die Existenz des neuartigen Virus SARS-CoV-2 öffentlich [1, 2]. Im März 2020 wurde von der WHO die Corona-Pandemie ausgerufen [1]. Nicht erst seit diesem Zeitpunkt waren und sind Regierungen damit beschäftigt, Maßnahmen zur Krisen-Bewältigung der Corona-Infektion umzusetzen (z. B. um die Anzahl der Intensivbetten zu erhöhen etc.), aber auch Maßnahmen der Prävention zu treffen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen [3, 4].
In Deutschland kam es im März 2020 wg. Corona zum Shutdown, inklusive einer Kontaktsperre (z. B. Schul- und Kitaschließungen, Homeoffice, Online-Lehre in Hochschulen) sowie zu einem „Runterfahren“ der Wirtschaft. Die Devise lautete „flatten the curve“. Dazu griff der Staat u. a. tief in die (Grund-)Rechte der BürgerInnen ein, traf weitreichende Anordnungen und erlies Verbote. Nur noch einzelne (meist systemrelevante) Wirtschaftszweige konnten weiterhin – i. d. R. unter strengen Auflagen – geöffnet bleiben. Dazu gehörten und gehören z. B. auch der Lebensmitteleinzelhandel und der öffentliche Nahverkehr [3, 4].
Oberstes Ziel der Politik ist nach wie vor, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, inzwischen aber auch wieder ein langsames „Hochfahren“ der wirtschaftlichen Aktivität sicherzustellen [4]. Das gesellschaftliche Wohl (Gesundheit – Wirtschaft – Soziales) steht bei den Entscheidungen immer im Vordergrund.

Abstandsmarkierungen in einem Flughafen (Nudge: Vereinfachung) © Carolina Diana Rossi
Abstandsmarkierungen in einem Flughafen (Nudge: Vereinfachung) © Carolina Diana Rossi

Mit Beginn der Corona-Pandemie gab es relativ rigide Maßnahmen mit Verboten und Anordnungen, die der Staat z. T. auch hart kontrollierte. Die Flexibilisierung und die Lockerungen führten dazu, dass der Rahmen nur noch grob abgesteckt ist (z. B. Abstand 1,5 m und Maskenpflicht im Handel) und die Verantwortung wieder mehr bei den jeweiligen AkteurInnen vor Ort liegt: Das sind Organisationen (z. B. Gastronomie, Handel, Schulen, Kitas, Verkehrsbetriebe) und einzelne Individuen, die situativ und konstant die auferlegten Maßnahmen umsetzen müssen.
Es stellt sich also aktuell in unterschiedlichen Kontexten die Frage, wie man das individuelle Verhalten (Verhaltensprävention) und die Lebens- und Arbeitsverhältnisse (Verhältnisprävention) so beeinflussen kann, dass das Infektionsrisiko – für das Individuum und die Gesellschaft – bei Corona in Deutschland weiterhin niedrig bleibt.

Nudging während Corona

Bei der Umsetzung der geforderten Maßnahmen und Auflagen im Alltag sowie für das gesellschaftliche Leben wurden viele einzelne AkteurInnen kreativ in der Lösungsfindung: Blickt man derzeit mit der „Nudging-Brille“ auf den Alltag in Deutschland, kann man viele „Anstupser“ erkennen, die eingesetzt wurden und werden. Zur Einordnung: Nudging ist ein Begriff der Verhaltensökonomie, welcher von den US-amerikanischen Wissenschaftlern Thaler und Sunstein geprägt wurde. Nudging bedeutet, dass die Umgebung, die sogenannte Entscheidungsarchitektur, der Menschen so gestaltet wird, dass Entscheidungen in eine bestimmte (gesundheitsförderlichere) Richtung leichter fallen.
Dazu werden bestimmte „Stimuli“ gesetzt bzw. die Entscheidungsarchitektur so gestaltet, dass das wünschenswerte Verhalten (tendenziell eher unbewusst) umgesetzt wird [5]. Entscheidend dabei ist, dass die freie Wahl für das Individuum zwischen den Entscheidungen erhalten bleibt, dass man den auslösenden Anstupser auch umgehen könnte und dass das Wohl des Individuums bzw. das der Gesellschaft dabei im Blick ist.
Das Nudging-Konzept kann in verschiedenen Bereichen eingeführt werden, da dieses lediglich einen Rahmen für die Verhaltensänderung vorschlägt [6]. Wie ein Nudge letztendlich gestaltet wird ist eine Entscheidung der EntwicklerInnen der Maßnahmen, die sogenannten EntscheidungsarchitektInnen.
Der Autor Sunstein präsentierte 2014 die zehn wichtigsten Nudging-Typen, die in der Praxis und Politik umgesetzt werden können und in empirischen Untersuchungen eine Wirksamkeit aufzeigen [7] (Tabelle 1).

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