Editorial 07/15: Essen und Trinken hält ... Patienten bei Kräften

Seit dem Altertum war erfolgreiche Krankenversorgung untrennbar mit einer ausreichenden und qualitativ hochwertigen Ernährung verbunden. So umfasst der aus dem Griechischen stammende Begriff „Diät“ die Gesamtheit von Faktoren, die der Gesundung und dem Wohlbefinden des Menschen dienten. Und im Mittelalter war das Patientenwohl in Hospitälern1 nicht zuletzt auf eine sättigende und gesundheitsförderliche Ernährung gegründet. Die Erfolge der Antoniter in der Therapie der Mutterkornvergiftungen (vgl. Ernährungs Umschau Heft 6/2015 S. S21–S26) wären z. B. ohne nahrhaftes Brot bzw. Brei aus gereinigtem Mehl nicht denkbar gewesen.

Mit den Fortschritten der abendländischen, stark naturwissenschaftlich geprägten Medizin wurden zwei wichtige Aspekte der „Heilkunst“ zunehmend an den Rand gedrängt: Die menschliche Zuwendung (mit genügend Zeit) und die Ernährung. Hunger- bzw. Mangelkrankheiten wurden seltener. Die Therapie von Krebs, Infektions- oder Herz-Kreislauf-Krankheiten gewannen an Bedeutung. Immer wirksamere Medikamente, spektakuläre chirurgische Methoden und nicht zuletzt ein umfassendes Arsenal an High-Tech-Geräten zur Diagnostik haben die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und saugen heute große Teile des begrenzten medizinischen Budgets auf. So landet mancher Patient im Krankenhaus heute schneller im Hochfeld-Tesla-Magnetresonanztomographen (Anschaffung: mehrere Mio. Euro; jährliche Kosten für Strom, Kühlmittel, Wartung ohne Personal: 0,1–0,2 Mio. Euro) als auf einer Personenwaage (Anschaffung für med. Zwecke: 500 Euro; jährliche Kosten f. Strom, Wartung, Kalibrierung: < 100 Euro), und die Zeit für Anamnesegespäche – auch für ein Ernährungs-Assessment – ist begrenzt.

Der Trend zur Effizienzsteigerung und Kostenersparnis kann sich aber ins Gegenteil verkehren, wenn die Bedeutung der Ernährung für die Gesundung, ja für die Therapierbarkeit überhaupt ignoriert wird. Rund sieben Tage beträgt die durchschnittliche „Krankenhausverweildauer“2 in Deutschland. Im intensivmedizinischen und geriatrischen Bereich sind die Zahlen ungleich höher. Sie könnten niedriger sein, wenn „Nutritional Care“ im Klinikalltag verankert wäre, wie die Beiträge zum Thema Mangelernährung in diesem Heft verdeutlichen.

Auf medizinischen Fachkongressen wird seit langem beklagt, dass die Ernährung(smedizin) in der Ausbildung des medizinischen Nachwuchses fast nicht vorkommt. Neue Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften berücksichtigen endlich verstärkt Ernährungsaspekte. 2014 startete die europäische Initiative ONCA (Optimal Nutritional Care for All)3 (ein Interview hierzu im nächsten Heft). Das sind wichtige Ansätze, die zum Nutzen der Patienten auf ein gutes Zusammenspiel von Ernährungsfachkräften, Pflegepersonal, Küche/Caterer und Ärzten angewiesen sind. Machen Sie mit, zum Beispiel, indem Sie den nächsten Nutrition Day am 15. November dieses Jahres unterstützen (www.nutritionday.org/).

Ihr Udo Maid-Kohnert


1 Ableitbar von lat. hospitalis = gastfreundlich, bewirtend
2 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/2604/ umfrage/durchschnittliche-verweildauer-imkrankenhaus-seit-1992/  
3 http://www.european-nutrition.org/index.php/ activities to facilitate greater screening for risk of disease-related malnutrition/undernutrition and nutritional care implementation across Europe



Den vollständigen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 07/15 auf Seite M377.

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