Editorial: Same (scientific) procedure as every year?

  • 12.01.2022
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  • Helmut Heseker
  • Helmut F. Erbersdobler
  • Udo Maid-Kohnert

Anfang 2021 schrieben wir an dieser Stelle über die Verwerfungen, die durch die Corona-Pandemie auch und gerade den Wissenschaftsbetrieb aufgemischt haben.1 Der damalige Text könnte nahezu unverändert auch in dieser Januar-Ausgabe 2022 erscheinen: Die Rahmenbedingungen sind in vielen Lebensbereichen, trotz Corona-Vakzinen und deutlich umfassender Kenntnisse zu COVID- 19, recht ähnlich.

Allerdings hat sich der „Druck auf dem Kessel“ weiter erhöht, die Verwerfungsrisse in der Gesellschaft, durch KollegInnen-, Bekannten- und Freundeskreise, ja sogar Familien- „bande“ werden deutlicher. Auch in der Wissenschaft: Vom Elfenbeinturm kann keine Rede mehr sein, wenn

  • WissenschaftlerInnen vor dem Presserat eine Sammelbeschwerde gegen ein Boulevard-Blatt einreichen,2 weil sie sich als politische Einflüsterer bzw. außerparlamentarische Instanz diffamiert sehen,
  • eine im Bundestag vertretene Partei mit dem programmatischen Leugnen und Verdrehen wissenschaftlicher Daten nicht ganz erfolglos Wahlkampf bei Menschen macht,3 die offenbar der Komplexität unserer Welt müde sind,
  • andererseits „Agenturen zur Forschungsfälschung“ die Belastbarkeit wissenschaftlicher Evidenzfindung von innen untergraben,4 indem sie gefakte oder massenhaft vermehrte, fast textgleiche Einreichungen international gestreut an die Redaktionen wissenschaftlicher Journals versenden.

Selbst wenn viele dieser Einreichungen im Peer Review-Prozess entlarvt und abgelehnt werden – allein das Phänomen zeigt ein Problem des „Publikationsdrucks“: Wenn die Qualität von Forschung allein über Kennzahlen wie Impact Factor, Scite Scores oder gar Anzahl der Publikationen pro Zeiteinheit bewertet wird, dann ist die Versuchung groß, eigene, im Moment weniger im Rampenlicht stehende Studien mit dem „Corona-Aspekt“ aufzuwerten, um Fördermittel oder auch nur Aufmerksamkeit zu erhalten.5,6
Ein zentraler Aspekt, der im Peer-Review-Prozess der ERNÄHRUNGS UMSCHAU bewertet wird, ist die „Relevanz“ für unsere Zielgruppe, also für Ernährungsfachkräfte sowohl in der Forschung als auch in der Ernährungskommunikation und Beratungspraxis. Und so sind wir froh, dass in unserer Fachzeitschrift die Arbeiten großer, finanziell gut ausgestatteter Institutionen wie dem Robert Koch-Institut gleichberechtigt neben den Ergebnissen kleinerer Arbeitsgruppen stehen. Es erscheinen Zwischen- und Endergebnisse von Langzeitstudien und systematische Reviews ebenso wie qualitative Untersuchungen und Pilotprojekte, die neue Forschungsgebiete erschließen. Wir freuen uns als Redaktion über diesen Themenmix, denn Forschungsergebnisse sollten nicht nur publiziert, sondern auch gelesen und diskutiert/kommuniziert werden – hierfür bietet die ERNÄHRUNGS UMSCHAU mit ihrer großen Reichweite eine gute Basis.

Als Herausgeber und Redaktion wünschen wir Ihnen ein gesundes Jahr mit spannenden, neuen und qualitätsgesicherten Einblicken in die Vielfalt der Ernährungsforschung und -praxis.

Prof. Dr. Helmut Heseker
Herausgeber

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler
Ehrenherausgeber

Dr. Udo Maid-Kohnert
Redaktionsleitung

_______________________________
1 Heseker H, Erbersdobler H, Maid-Kohnert U: Science wades into public debate – and gets a shake-up in the process. Ernahrungs Umschau 2021; 88(1): 1.
2 Presserat prüft Sammelbeschwerde von Wissenschaftler:innen gegen BILD. www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/dezember-2021/nr-21127-2  (last accessed on 9 December 2021).
3 Klimaschutz als „Kulturkampf“. Studie zur Desinformation. www.tagesschau.de/investigativ/klimawandel-afd-101.html  (last accessed on 9 December 2021).
4 Sabel BA, Seifert R: Globaler Angriff auf die Integrität der Wissenschaft. Aufruf zum Kampf gegen „Agenturen für Forschungsfälschung“. Forschung & Lehre 2021; 11: 918–20.
5 Corona: 87.000 Publikationen in zehn Monaten. Pandemie brachte beispiellose Schwemme wissenschaftlicher Veröffentlichungen. www.scinexx.de/news/medizin/corona-87-000-publikationen-in-zehn-monaten/  (last accessed on 9 December 2021).
6 Heller L: Publikationsflut beeinflusst wissenschaftlichen Fortschritt. www.deutschlandfunkkultur.de/forschung-und-corona-publikationsflut-beeinflusst-100.html  (last accessed on 9 December 2021).

DOI: 10.4455/eu.2022.001

 



Same (scientific) procedure as every year?

At the beginning of 2021, we wrote about the upheavals that the Corona pandemic has, also and especially on the scientific community.1 We could have published this text almost unchanged also in this January issue 2022: The general conditions in many areas of life are still quite similar, despite corona vaccines and comprehensive knowledge of COVID-19.

However, the "pressure on the kettle" has continued to increase, the fault lines in society, through circles of colleagues, acquaintances and friends, and even family "ties" are becoming clearer. Also in science: There is no longer any question of the “scientific ivory tower”, when:

  • scientists file a collective complaint2 with the Press Council against a tabloid, because they see themselves defamed as political whisperers or an extra-parliamentary body
  • a party represented in the German Parliament uses programmatic denial and distortion of scientific data to – not entirely unsuccessfully – campaign among people3 who apparently are tired of the complexity of our world
  • on the other hand, "agencies for research falsification" undermine scientific evidence from the inside,4 by producing and massively spreading fake or almost textually identical submissions (“paper mills”) to the editors of different international scientific journals.

Even if many of these submissions are debunked and rejected in the peer review process – the phenomenon alone shows the problem of "publication pressure": If the quality of research is evaluated solely by metrics such as impact factor, scite scores, or even number of publications per unit time, then the temptation is great to enhance one's own studies, which are less in the spotlight at the moment, with the "corona aspect" in order to obtain funding or even just attention.5, 6
A central aspect evaluated in the peer review process of ERNÄHRUNGS UMSCHAU is the "relevance" for our target group, i.e. for nutrition professionals both in research and in nutrition communication and counseling. And so, we are glad that in our journal the publications of large, well-funded institutions such as the Robert Koch Institute are on an equal footing with the results of smaller working groups. Interim and final results of long-term studies and systematic reviews appear, as do qualitative studies and pilot projects that open up new areas of research. As editors, we are pleased with this mix of topics since research results should not only be published, but should also be read and discussed/communicated – with its large range, ERNÄHRUNGS UMSCHAU offers a good basis.

As publishers and editors, we wish you a healthy year with exciting, new and quality-assured insights into the diversity of nutrition research and practice.

Prof. Dr. Helmut Heseker
Publisher

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler
Honorary Publisher

Dr. Udo Maid-Kohnert
Editorial Director

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1 Heseker H, Erbersdobler H, Maid-Kohnert U: Science wades into public debate – and gets a shake-up in the process. Ernahrungs Umschau 2021; 88(1): 1.
2 Presserat prüft Sammelbeschwerde von Wissenschaftler:innen gegen BILD. www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/dezember-2021/nr-21127-2  (last accessed on 9 December 2021).
3 Klimaschutz als „Kulturkampf“. Studie zur Desinformation. www.tagesschau.de/investigativ/klimawandel-afd-101.html  (last accessed on 9 December 2021).
4 Sabel BA, Seifert R: Globaler Angriff auf die Integrität der Wissenschaft. Aufruf zum Kampf gegen „Agenturen für Forschungsfälschung“. Forschung & Lehre 2021; 11: 918–20.
5 Corona: 87.000 Publikationen in zehn Monaten. Pandemie brachte beispiellose Schwemme wissenschaftlicher Veröffentlichungen. www.scinexx.de/news/medizin/corona-87-000-publikationen-in-zehn-monaten/   (last accessed on 9 December 2021).
6 Heller L: Publikationsflut beeinflusst wissenschaftlichen Fortschritt. www.deutschlandfunkkultur.de/forschung-und-corona-publikationsflut-beeinflusst-100.html  (last accessed on 9 December 2021).

DOI: 10.4455/eu.2022.001



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 1/2022 auf Seite M13.

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