„Sojamilch“-Quote?

Die niedrigen Milchpreise haben eine große Berichtswelle ausgelöst – Bundesminister Christian Schmidt schnürt ein „Hilfspaket für die Milchwirtschaft“.

Mitauslöser der aktuellen Milchpreiskrise ist u. a. das Ende der Milchquote, die bis 2015 die Erzeugung deckelte und eine wesentliche Überproduktion verhinderte. Für 1 Liter erhalten Milchbauern nun im Schnitt etwas über 20 Cent, wir Verbraucher zahlen teils sogar unter 50 Cent. Da können sich die Erzeuger fast wünschen, ihre Kühe würden „Sojamilch“ oder gar Mineralwasser geben, denn die sind beide meist teurer.

Die Situation der Milchbauern (und -kühe) ist besorgniserregend. Doch dass Massentierhaltung viele negative Umweltauswirkungen hat, daran bestehen keine Zweifel. Da immer mehr Menschen daher, oder wegen gesundheitlicher oder ethischer Motive, die Haltung von Nutztieren ablehnen (schließlich enden die Tiere beim Schlachter, egal ob Fleischrind, Milchkuh, konventionell oder Bio), steigen Nachfrage und Angebot von Milchalternativen aus Hülsenfrüchten, (Pseudo-)Getreiden oder Ölsamen/Nüssen. Preis, Geschmack und Nährstoffzusammensetzung weichen zwar von Kuhmilch ab, das in Pflanzendrinks u. a. weniger enthaltene Kalzium und Vitamin D wird i. d. R. jedoch zugesetzt. Einige Nationen integrieren Sojaprodukte bereits in ihre lebensmittelbasierten Empfehlungen (S. M377). Solche Änderungen werden von der Food and Agriculture Organization (FAO) nicht nur begrüßt, sondern sogar verlangt: Ernährungsempfehlungen sollen nicht mehr nur an der Gesundheit des Einzelnen, sondern auch ökologisch ausgerichtet sein.

Andererseits werden Pflanzendrinks kritisiert, da sie „nicht natürlich“ seien und die Rohstoffe von weit her kämen. Das mag z. T. stimmen (braucht es bspw. Quinoa-Drinks?), doch auch Tierfuttermittel kommen nicht immer vom Feld nebenan. Dass für die auf dem deutschen Markt erhältlichen Pflanzendrinks hauptsächlich europäische Rohstoffe eingesetzt werden, und dass ihre Klimabilanz offenbar insgesamt deutlich günstiger ist, können Sie im Interview mit Dr. Markus Keller ab S. M421 lesen. Und wenn wir bedenken, dass tonnenweise Kraftfutter mit importierten Bestandteilen „in der Milchkuh“ landen, ist es doch ressourceneffizienter, Soja oder Getreide direkt zu „Milch“ zu machen. Den Herstellungsprozess und die ernährungsphysiologische Bewertung von Pflanzendrinks sowie Verzehreinschränkungen bspw. in der Kinderernährung fasst Dr. Kristina Fotorek im Special ab S. M414 zusammen und stellt dar, für wen und für was sie sich besonders eignen.

Das soll nicht heißen, dass wir uns komplett von Kuhmilch und Milchprodukten verabschieden sollen. In verarbeiteten Speisen wie Pfannkuchen, gebundenen Suppen und Soßen, Süßspeisen und Backwaren könnten pflanzliche Drinks und -kochcremes, Jogurt- und Quarkalternativen allerdings für Abwechslung sorgen und fast unmerklich tierische Produkte ersetzen. Vielleicht gibt es eines Tages sogar eine „Sojamilch“-Quote für einen Mindesteinsatz in der Gemeinschaftsverpflegung? Denn wenn wir nicht nur Haferflocken mit Haferdrink löffeln, tragen die vielen pflanzlichen Milchalternativen zu einem breiteren Nahrungsspektrum bei. Der Griff zu Pflanzendrinks muss keine fundamentalistische „alles oder nichts“-Entscheidung sein, aber hin und wieder verwendet, macht eine flexitarische oder gar „flexigane“ Ernährung unsere Kost eindeutig vielfältiger und pflanzlicher.

Viel Freude beim Lesen und vielleicht ja auch beim Ausprobieren wünscht Ihnen

Ihre Stella Glogowski


Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 07/16 auf Seite M373.

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