Nose to Tail. Was in Deutschland als „Schlachtabfall“ angesehen wird, gilt in anderen Ländern teilweise als Delikatesse und trägt zur Wertschöpfung der Landwirte bei. (Ausschnitt aus Website der CDS Hackner GmbH, m. frdl. Genehmigung)
Nose to Tail. Was in Deutschland als „Schlachtabfall“ angesehen wird, gilt in anderen Ländern teilweise als Delikatesse und trägt zur Wertschöpfung der Landwirte bei. (Ausschnitt aus Website der CDS Hackner GmbH, m. frdl. Genehmigung)

Fleisch und Fleischverzicht: DGE-Baden-Württemberg Forum „Fleisch“

(umk) Der Verzicht auf Fleisch und eine vegetarische oder vegane Lebensweise sind mittlerweile Dauerthema der medialen Berichterstattung. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass global derzeit ca. 330 Mio. t Fleisch „produziert“werden (zum Vergleich 1965: 84 Mio. t) und der Konsum weltweit jährlich noch um ca. 1,5 % wächst.1 Traditionell widmet sich die DGE Baden-Württemberg auf ihrem Frühjahrs-Forum einem Lebensmittel-Thema. Diesmal stand am 14. März vor rund 300 ZuhörerInnen an der Universität Hohenheim Fleisch als Lebensmittel und Wirtschaftsfaktor mit all seinen Facetten und Kontroversen im Mittelpunkt der Vorträge und Workshops.

Fleisch als globaler Wirtschaftsfaktor

Richard Riester, Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung und Ländlichen Raum, Schwäbisch Gmünd, führte in die Thematik von Fleisch als Wirtschaftsfaktor ein und verdeutlichte die Größenordnungen der weltweiten Warenströme – Futtermittel, Fleisch, aber auch Kontinent übergreifende Lebendtransporte von Schlachtvieh (bei Rindfleisch betrifft dies rund 25 % der Schlachttiere). Sein Eindruck: „Die Welt giert nach tierischem Protein und Fett“. Unter dem Aspekt: Wenn schon Tiere schlachten, dann wenigstens vollständig als Nahrung nutzen („nose to tail“), machten seine Erläuterungen zur landestypisch extrem unterschiedlichen Wertschätzung bestimmter Fleischstücke nachdenklich: So wird für Schweinemagen in China z. B. der doppelte Preis erzielt, der in Deutschland für Schweinefilet gezahlt wird.

Fleischersatzprodukte und Lebensmitteltechnologie

Dr. Volker Lammers vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik stellte zum einen Berechnungsmodelle zu Ernährungsweisen und deren Klimawirksamkeit vor. In den von ihm gezeigten Algorithmen tritt Rindfleisch mit Blick auf das Global Warming Potential (GWP) deutlich hervor. Aber auch die Gewinnung von Nahrungsprotein aus Mikroalgen hat (derzeit) eine extrem schlechte Klimabilanz. In seinem Vortrag und der anschließenden Diskussion wurden aber auch Limitationen und Modellierungsprobleme („beef bashing“ ohne Berücksichtigung der Grünlandnutzung) von Ökobilanzierungen angesprochen. Der zweite Vortragsteil war den technologischen Herausforderungen gewidmet, durch Extrusionstechnik Faserstrukturen mit fleischähnlichem „Biss“ aus pflanzlichen Rohstoffen herzustellen, bspw. aus Pressrückständen der Kürbis- und Sonnenblumenöl-Gewinnung.

Fleischesfrust statt Fleischeslust?

Sophia Reis, Hochschule Fulda, näherte sich dem Thema Fleischkonsum aus einer soziologischen Perspektive. Die (Wohlstands)Symbolik des Fleischverzehrs, die Abstufung der „Fleischhaftigkeit“ von Rind über Schwein und Geflügel bis zu Fisch, der teilweise sogar an fleischfreien Tagen verzehrt werden „darf“, macht die Bedeutungszumessung deutlich (übrigens zeigt diese Abstufung eine interessante Parallele zur Abstufung von rotem zu weißem Fleisch nach dem Häm-Eisengehalt im nachstehenden Vortrag von Prof. Watzl). Sophia Reis machte einen aktuellen Bedeutungswandel von Fleisch aus, da zunehmend auch die negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Klima thematisiert werden. Dennoch bleibe es eine Herausforderung, den durch Geschmackskonservativismus geprägten „kulinarischen Code“ A + 2B = Fleisch + Beilage + Salat v. a. in der Gastronomie aufzubrechen, um etwa vegetarische Speisen von den „fleischlos“-Sonderseiten der Speisekarten in das normale Menü zu verschieben.

Wie (un)gesund ist Fleisch?

Eine Nutzen-Risiko-Bewertung von Fleisch aus Sicht der Ernährungsphysiologie stellte Prof. Dr. Bernhard Watzl vom Max Rubner-Institut Karlsruhe vor. Dabei schneidet unverarbeitetes Fleisch besser ab als Fleischerzeugnisse und Wurstwaren. Die häufig angeführte Einteilung der Fleischsorten (nach der Fleischfärbung und damit aufgrund des Häm-Eisen-Gehaltes des Muskelfarbstoffes Myoglobin) wird uneinheitlich gehandhabt und fällt gerade für Schweinefleisch und Wild nicht eindeutig aus. Watzls Fazit: Moderater Fleischverzehr kann aufgrund bestimmter Inhaltsstoffe (z. B. Proteinwertigkeit, Vitamine B1, B2, B6 und B12, Eisen, Zink) zu einer gesunden Ernährung beitragen, ist jedoch hierfür nicht zwingend erforderlich.

Workshops und Führungen rund um Fleisch und Fleischverzicht

Das Nachmittagsprogramm der Veranstaltung bot den TeilnehmerInnen die Möglichkeit, die Informationen anhand von Praxisbeispielen, Verkostungen oder Workshops zu vertiefen. Themen waren dabei der Umgang mit Fleisch als Lebensmittel bei jungen Erwachsenen, zu „Tierwohl“- und anderen Labels in der Fleischdeklaration. Für Fleischesser standen ein – auch sensorischer – Kurs (Eberfleisch) zur Fleischqualität auf dem Programm, die Vorstellung von alten Haustierrassen, Zubereitungstipps für Innereien; außerdem eine Meierei-Führung.

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1 www.weltagrarbericht.de/aktuelles/nachrichten/news/de/33467.html  Zugriff 26.03.19



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 4/2019 auf Seite M192.

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