Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn): „Gewichtsmanagement – eine runde Sache“

Zu einem Wissenschaftssemi­nar zum Thema „Gewichtsma­nagement – eine runde Sache“ lud das Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) Bayern in Kooperation mit der Tech­nischen Universität München (TUM) am 29.06.2016 nach München ein.

Zu Beginn stellte Dr. Anja Schienkiewitz vom Robert Koch-Institut (RKI) Daten aus KiGGS1 und DEGS12 zu Über­gewicht und Adipositas vor: Während die Rate an adipösen Männern seit den 1990ern von 19 auf 25 % angestiegen ist, hat sich die Anzahl Übergewich­tiger insgesamt sowie adipö­ser Frauen in diesem Zeitraum nicht weiter erhöht. Allerdings steige das Gewicht vieler Men­schen v. a. im mittleren Alter (46–65 Jahre) kontinuierlich an. Bei Kindern sei zwischen 1999 und der KiGGs-Base­line-Studie (2003–2006) die Übergewichtsrate von 10 auf 15 % gestiegen, die Adipositas­rate von 3 auf 6 %. Eine neuere Erhebung von Brettschneider et. al. [1] zeigt allerdings kaum noch Veränderungen gegenüber den KiGGs-Baseline-Daten ein Jahrzehnt zuvor.

Prof. Hauner von der TUM bezeichnete die Gewichtszu­nahme im Erwachsenenalter v. a. als Zivilisationsphäno­men. Er führte dies u. a. auf die steigende Energiedichte der Nahrung zurück, die in Mit­teleuropa ca. zwei- bis dreifach höher ist als z. B. eine traditio­nelle Ernährung in Gambia. Die jährlichen Ausgaben des deutschen Gesundheitssystems für die Folgen von Übergewicht und Adipositas bezifferte Prof. Holle vom Helmholtz-Zentrum München nach Lehnert [2] und Effertz [3] mit 9 bis 29 Mrd. € – die Ergebnisse solcher Berech­nungen hingen davon ab, ob auch indirekte Krankheitskos­ten einbezogen würden.

Einen sehr informativen Über­blick zur Darstellung von Diä­ten in den Printmedien lieferte Johanna Bayer, freie Wissen­schaftsjournalistin. Jährlich wiederholten sich v. a. in Bou­levardblättern die gleichen Di­ät„rituale“: von „weg mit dem Winterspeck“ nach Weihnach­ten über „entschlacken“ im Frühjahr zur „Bikini-Figur“ im Sommer. Ein anhaltender Trend seien auch „Promi-Diäten“ und Diäten, die auf einem Protago­nisten mit Leidensgeschichte und „Heilsversprechen“ beru­hen. Hierein fügen sich auch die großen Trends: „vegan“ (u. a. Attila Hildmann), Paläo (u. a. Nico Richter) und, derzeit wach­send, Clean Eating (Tosca Reno). Bayer resümierte bezüglich der ungebrochenen Attraktivität einer Vielzahl von Diäten: „Es gibt verschiedene Diätkonzepte, weil die Menschen unterschied­lich sind. Die konventionellen Ernährungsempfehlungen bil­den diese Varianz nicht ab.“ Als „zu kompliziert“ bezeich­nete auch Prof. Erdmann, HS Weihenstephan, die konventi­onellen Ernährungsempfehlun­gen und stellte dar, wie man die Energiedichte in verschiedenen Mahlzeiten auf unter 1,5 kcal/g reduzieren kann. Als problema­tisch stellte sich dabei v. a. die traditionelle Brotmahlzeit mit einer sehr hohen Energiedichte heraus.

Einen Paradigmenwechsel be­züglich der Maßnahmen gegen das Übergewicht forderte schließlich Dr. Garlichs, u. a. Sprecher der Deutschen Allianz nichtübertragbare Krankheiten (DANK): „Die bisherige Strate­gie der Verhaltensänderung ist gescheitert“ titelte eine seiner Folien. Auch die Verhältnisprä­vention sei geprägt von In­sellösungen und „Projektitis“. Damit bekräftigte er die bereits vorher getroffene Aussage von Prof. Hauner, dass „Deutsch­land in der Verhältnispräven­tion ein Entwicklungsland“ sei. Garlichs fordert eine Ver­hältnisprävention eingebettet in verbindliche Strukturen und Regelprozesse und damit in der Lage, den Lebensstil frühzeitig zu prägen und langfristige, be­völkerungsweite Strategien zu verfolgen.

Obwohl betont wurde, dass das Wissenschaftsseminar nur einzelne Aspekte des Über­gewichtsproblems beleuchten sollte, wurde in der abschlie­ßenden Podiumsdiskussion doch wieder die Frage nach einer „Gesamtlösung“ gestellt, deren Beantwortung erwar­tungsgemäß nicht gelang: auf­grund der Komplexität, vieler unberücksichtigter Aspekte und einer fehlenden Reflexion darüber, was oder wer hier ei­gentlich genau bekämpft wer­den soll. Lesen Sie hierzu auch „Zu guter Letzt“ auf S. M492 in diesem Heft.

Dr. Sabine Schmidt, Pohlheim

Literatur:

1. Brettschneider AK et al. (2015) Development and validation of correction formulas for self-re­ported height and weight to esti­mate BMI in adolescents. Results from the KiGGS Study. Obesity Facts 8: 30–42

2. Lehnert T et al. (2014) Health burden and costs of obesity and overweight in Germany: an up­date. Eur J Health Econ [Epub Nov. 8]

3. Effertz T. Die volkswirtschaft­lichen Kosten gefährlicher Kon­sumgüter. Eine theoretische und empirische Analyse für Deutsch­land am Beispiel Alkohol, Tabak und Adipositas. Die Kosten ge­fährlichen Konsums. Habilita­tionsschrift. Peter Lang Verlag, Frankfurt (2015)

1Studie zur Gesundheit von Kindernund Jugendlichen in Deutschland
2 Studie zur Gesundheit Erwachsenerin Deutschland



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 08/16 auf Seite M446.

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