Muskelschwund: Vor allem bei Übergewicht: Fachleute warnen vor verstecktem Muskelschwund

Proteine und Kraftsport könnten helfen, wenn adipöse Patient*innen an Muskelschwund leiden. Doch meist werde die Krankheit nicht erkannt, so Prof. Dr. med. Bischoff von der Uni Hohenheim. Aufgrund von Bewegungsmangel könne es bei Menschen mit Adipositas zu einem schleichenden Muskelschwund kommen, der unter dem hohen Fettanteil verborgen und damit unentdeckt bleibe.

Krafttraining hilft gegen durch Bewegungsarmut geförderten Muskelschwund bei Adipositas. © Antonio Diaz/iStock/Getty Images Plus
Krafttraining hilft gegen durch Bewegungsarmut geförderten Muskelschwund bei Adipositas. © Antonio Diaz/iStock/Getty Images Plus

Prof. Stephan Bischoff, Ernährungsmediziner an der Universität Hohenheim, gehört zu einem internationalen Experten-Panel, welches das neue Krankheitsbild der sog. „sarkopenen Adipositas“ definierte und Kriterien zur Diagnose erarbeitete. Im nächsten Schritt gelte es nun, geeignete Therapien zu entwickeln. Muskelschwund aufgrund von Bewegungsmangel sei eine Krankheit, die bislang v. a. bei betagten Menschen, bei chronisch Kranken (z. B. Krebs, Herzinsuffizienz oder Diabetes) und als Folge längerer Phasen der Unbeweglichkeit beobachtet werde. Längere Unbeweglichkeit könne z. B. durch langes Tragen eines Gipsverbands oder längere Bettlägerigkeit verursacht werden.
Neu sei allerdings die Erkenntnis, dass auch junge Menschen an Muskelschwund leiden können, wenn sie entsprechendes Körpergewicht auf die Waage brächten, so Bischoff. „Mit zunehmendem Übergewicht steigt erst einmal die Muskelmasse, um die Gewichtszunahme auszugleichen. Danach erreicht die Muskelmasse jedoch oft einen Kipp-Punkt, ab dem sie aufgrund von Bewegungsmangel wieder abnimmt.“ Bei stark bis krankhaft übergewichtigen Menschen verberge der hohe Anteil aus Körperfett den Verlust der Muskelmasse. Die Folgen seien laut Bischoff nicht zu unterschätzen. „Patientinnen und Patienten mit Muskelschwund sind deutlich anfälliger für Krankheiten. Auch die Lebenserwartung sinkt.“ Diesen Zusammenhang hätten bspw. auch die Erkrankungswellen während der Covid-Pandemie illustriert: „Da sich Muskelschwund bei adipösen Menschen auch auf die Atemmuskulatur auswirkt, hatten diese aufgrund der verringerten Atemleistung deutlich schwerere Verläufe.“
In Deutschland leidet inzwischen rund die Hälfte der Bevölkerung an Übergewicht und ein Viertel an Adipositas. Zuerst sei der Zusammenhang zwischen Adipositas und Muskelschwund durch eine Häufung von Einzelbeobachtungen aufgefallen. Um dem Thema auf den Grund zu gehen, schlossen sich zwei Fachgesellschaften – die European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) und die European Association for the Study of Obesity (EASO) – in einer eigens einberufenen Expertenrunde zusammen. In ihrem Auftrag führten Bischoff und über 30 Kolleg*innen die Expertise aus 16 Ländern Europas und aus Übersee zusammen, um eine klinische Definition und Diagnoseverfahren zu erarbeiten.
Um die sog. „sarkopene Adipositas“ zu diagnostizieren, empfehlen sie einen Methodenmix. Dabei werden sowohl die Anteile von Fett- und Muskelmasse im Körper bestimmt als auch die Muskelfunktion gemessen. Um die Körperzusammensetzung zu bestimmen biete sich z. B. die Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) an. Alternativ könnten auch Messungen aus der Magnetresonanztomografie (MRT) verwendet werden. Um die Muskelfunktion zu testen, gäbe es eine Reihe standardisierter Tests. Dabei werde z. B. gestoppt, wie oft Patient*innen in einer Minute aufstehen und sich wieder hinsetzen könnten (timed „Up and Go test“) oder welche Gehstrecke sie in sechs Minuten zurücklegten.
„Von der sarkopenen Adipositas sprechen wir dann, wenn sowohl der Anteil von Muskelmasse zu niedrig als auch die Muskelfunktion bereits beeinträchtigt ist“, erklärt Bischoff. Bei der endgültigen Diagnose würden dann noch Details wie Alter, Geschlecht oder auch die ethnische Zugehörigkeit berücksichtigt. „Aus der Adipositas kennen wir bereits einige Programme zur Gewichts-Reduzierung. […]. Nun müssen wir noch mehr darauf achten, dass die Muskelmasse bei der Gewichtsabnahme möglichst unangetastet bleibt bzw. wiederaufgebaut wird. Am aussichtsreichsten dafür scheint die Kombination aus Krafttraining und proteinreicher Ernährung.“

Quelle: Universität Hohenheim, Pressemeldung vom 15.05.2023



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 9/2023 auf Seite M536.

Das könnte Sie interessieren
Medienumschau 4/2024 weiter
Social Media und der Einfluss auf die Gesundheitskompetenz weiter
Hochschule Osnabrück entwickelt Handlungsempfehlungen gegen Lebensmittelverschwendung weiter
Globale Ernährungswende würde Gewinne in Höhe von mehreren Billionen US-Dollar erzielen weiter
Wirkung von Ballaststoffen auf die Gewichtsreduktion weiter
Folsäure kann angeborene Fehlbildungen verhindern weiter