Genome Editing: EU will Neue Genomische Techniken (NGT) neu regeln

Die EU will den Umgang mit Genome-Editing-Methoden, auch Neue Genomische Techniken (NGT) genannt, in der Pflanzenzüchtung neu regeln. Hierfür stellte die EU-Kommission aktuell (05.07.2023) einen entsprechenden Gesetzentwurf vor: Neue Pflanzensorten sollen demnach unter bestimmten Bedingungen nicht mehr den strengen Regeln für gentechnisch veränderte Organismen unterliegen, sondern – bei der Zulassung und im Handel – konventionell gezüchteten Pflanzen gleichgestellt werden.

Laut Prof. Holger Puchta vom Joseph Gottlieb Kölreuter Institut für Pflanzenwissenschaften (JKIP) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mache es aus wissenschaftlicher Sicht Sinn, zwischen konventioneller Gentechnik und den neuen Züchtungsmethoden zu unterscheiden.
Anders als bei der konventionellen Gentechnik werde beim Genome Editing kein fremdes Erbgut eingebracht. „Stattdessen kommen Genscheren wie CRISPR/Cas zum Einsatz, mit denen gezielte und begrenzte Veränderungen schnell vorgenommen werden können“ ( s. a. ERNÄHRUNGS UMSCHAU 11/2018 Seite M639).
Im Ergebnis sei die entstandene Pflanze dann nicht mehr von einer klassischen Züchtung zu unterscheiden. Diese Veränderungen im Genom könnten auch auf natürlichem Wege durch einen langsamen Prozess entstehen. Durch Genome Editing würden weniger Pestizide benötigt und die so gezüchteten Pflanzen könnten den Herausforderungen des Klimawandels wie Hitze und Trockenheit besser standhalten, so Puchta.
Dass die Kommission bei ihrer Empfehlung auch die ökologischen Sorgen der Umweltverbände berücksichtig hat, hält Puchta für eine kluge Abwägung der Interessen aller Beteiligten: „So bleiben etwa herbizidresistente Pflanzen von der Regelung ausgeschlossen, da der Einsatz von Herbiziden nach dem Willen der Kommission in der EU in den nächsten Jahren deutlich reduziert werden soll.“ Auch der weiterhin strikte Ausschluss von Genome Editing bei Bio-Produkten sei als Entgegenkommen an die Bio-Branche zumindest wirtschaftlich und politisch nachvollziehbar und sichere die Wahlfreiheit für Konsumentinnen und Konsumenten.

Quelle: Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Pressemeldung vom 06.07.2023

Kommentar zur Dauerdebatte um Nutzen und Risiken der Gentechnik

Ziemlich genau 50 Jahre jung/alt ist die Geschichte gentechnisch veränderter Organismen. 1980 gab es dann das erste Patent auf einen gentechnisch veränderten Organismus (GVO), ein Bakterium. 1986 wurde in Frankreich gentechnisch veränderter Tabak angebaut. In den 1990ern dann wurden frisch angelegte Testanpflanzungen mit GVO-Pflanzen teilweise wütend zerstört. Erst Anfang dieses Jahres erfolgte die erste nennenswerte Ernte des GVO „Goldener Reis“ [1].
Die immer besser zielgerichtet erfolgenden molekulargenetischen Züchtungsmethoden werden nach wie vor von vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern kritisch betrachtet und es gibt fortwährend juristische und politische Abfolgen von Gutachten und Moratorien zu erlaubten Freisetzungen. Hingegen erfolgt „klassische“ Pflanzenzüchtung nach dem Zufallsprinzip unter Einsatz von z. B. hochenergetischer Strahlung, mutationsauslösenden Chemikalien oder molekuarbiologisch unterstützter Selektion („smart breeding“) weitgehend ohne öffentliche Diskussion. Die internationale Atomenergiebehörde nennt über 2000 Zier- und Nahrungspflanzen, die durch Bestrahlung gezüchtet wurden [2, 3].
Während der Anteil gentechnisch erzeugter Medikamente in Deutschland ohne größere Akzeptanzprobleme bereits 2012 etwa 16 % des gesamten Medikamentenumsatzes ausmachte [4], wird im Lebensmittelbereich die Diskussion weiterhin oft emotional geführt. Sie ist neben der Debatte um eine neutrale Risikobetrachtung der Methode Gentechnik als solche untrennbar mit drei Themenkreisen verknüpft: Zum einen der begründeten Sorge von gentechnikfrei und ökologisch wirtschaftenden Betrieben um Kontamination ihrer Produkte, zum anderen mit der nicht minder problematischen Frage des „Sortenschutzes“ bzw. der Patentierung von Organismen und Eigenschaften. Als drittes schließlich erfordert die Möglichkeit, Pflanzen zielgerichtet mit Eigenschaften wie Trockenheits- und Herbizidtoleranz auszustatten, eine offene Debatte darüber, welche Züchtungsziele denn verfolgt werden sollen. Hier müssen Verbraucherinnen und Verbraucher, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik intensiver klären, wohin die Reise gehen soll; wie wichtig uns Biodiversität, Klimaschutz und – ja – auch frei nachbaubares Saatgut sind. Eine Einengung der Debatte auf mögliche unmittelbare gesundheitliche Risiken, wie in der aktuellen EFSA-Einschätzung zu Glyphosat [5], bringt uns kaum weiter.

Udo Maid-Kohnert

Literatur
1. Maid-Kohnert U: Gentechnik und Pflanzenzüchtung: Goldener Reis – erste Ernte nach 20 Jahren Forschungskonflikt. Ernährungs Umschau 2023; 70(1): M11–2.
2. Friedt W: “Smart breeding” – Clever breeding of today for healthy varieties and food of tomorrow. Ernährungs Umschau 2007; 54(3): 108–13.
3. Tagesspiegel: Genetik: Rund 2250 Pflanzensorten durch Bestrahlung entwickelt. 2001. www.tagesspiegel.de/gesundheit/genetik-rund-2250-pflanzensorten-durch-bestrahlung-entwickelt-790384.html  (last accessed on 11 July 2023).
4. Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG): Pharma. https://gentechfrei.ch/de/20-themen/pharma  (last accessed on 11 July 2023).
5. European food Safety Authority (efsa): Glyphosate: no critical areas of concern; data gaps identified. www.efsa.europa.eu/de/news/glyphosate-no-critical-areas-concern-data-gaps-identified  (last accessed on 11 July 2023).



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 8/2023 auf Seite M470.

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