Public Health: Gründung eines neuen „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM)“

  • 15.11.2023
  • Print-News
  • Kristin Leismann
  • Udo Maid-Kohnert

Mit der 2021 im Koalitionsvertrag von den Ampel-Parteien beschlossenen Neuordnung der nachgeordneten Behörden des Bundesministeriums für Gesundheit wurde begonnen. Dies gab Gesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Pressemeldung am 4. Oktober 2023 bekannt [1]. Dazu soll das „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM)“ aufgebaut werden, das sich um die Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen (z. B. Krebs, Demenz, koronare Herzkrankheit) kümmern soll.

Das BIPAM folgt damit einem umfassenderen Ansatz von Gesundheit – weg von der Fokussierung auf ein kuratives Gesundheitssystem hin zu einer Kombination aus Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung. Durch die Stärkung der Öffentlichen Gesundheit (Public Health) sollen nicht nur die Lebensqualität der Menschen gesteigert und ihre Lebenserwartung verlängert, sondern auch Kosten im Gesundheits- und Sozialsystem langfristig reduziert werden.
Die Aufgaben im Einzelnen:

  • Auswertung und Erhebung von Daten zum Gesundheitszustand der Bevölkerung, um politische und strategische Entscheidungen vorzubereiten und zielgruppenspezifische Präventionsmaßnahmen zu evaluieren.
  • Gesundheitskommunikation des Bundes auf Basis valider Daten zu Gesundheitsbedingungen, Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten der Bevölkerung.
  • Übergreifende Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.
  • Vernetzung von Wissenschaft, Praxis, Politik und relevanten Stakeholdern.
  • Frühzeitige Identifikation gesundheitlicher Bedürfnisse und Bedarfe (Foresight) sowie Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von nicht übertragbaren Krankheiten.
  • Epidemiologische Forschung auf dem Gebiet der nicht übertragbaren Krankheiten, einschließlich der Erkennung und Bewertung von individuellen Risiken und sozialen Gesundheitsdeterminanten.
  • Unterstützung von Studien zur Verbesserung der Primärprävention und Zusammenarbeit mit dem Forschungsdatenzentrum bei der Nutzung von KI für epidemiologische Auswertungen.
  • Aufbau eines Centers of Excellence für Modellierer im Gesundheitswesen.

Das BIPAM wird als selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMG errichtet. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) geht im neuen Bundesinstitut auf, um Gesundheitsanalyse und -kommunikation zu stärken. Gleichzeitig soll das Robert Koch-Institut durch eine Konzentration auf die Abwehr von Infektionskrankheiten gestärkt werden. Als neuer Präsident des RKI wurde Prof. Lars Schaade, bisher kommissarischer RKI-Präsident, berufen. Zum Errichtungsbeauftragten des neuen Bundesinstituts wurde der ehemalige Leiter des Kölner Gesundheitsamts Dr. Johannes Nießen ernannt. Der Zeitplan für den Aufbau des BIPAMs sieht vor, dass Ende 2023 der entsprechende Gesetzgebungsprozess startet, 2024 eine „Transformationsphase“ folgt, und das Gesetz über die Einrichtung des BIPAMs 2025 in Kraft tritt.

Kommentar der Redaktion
Noch‘n Institut!
„Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht in einem Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit am Bundesministerium für Gesundheit auf, in dem die Aktivitäten im Public-Health Bereich, die Vernetzung des ÖGD [Öffentlicher Gesundheitsdienst] und die Gesundheitskommunikation des Bundes angesiedelt sind.“ – so steht es im bestehenden Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition aus dem Jahr 2021 [2]. Diese Idee wurde als Reaktion auf die gesellschaftlich wahrgenommenen Koordinations- und Kommunikationsprobleme im Pandemiemanagement von den Parteien aufgenommen.
Hintergrund: Auch das derzeitige Robert Koch-Institut (RKI) ging aus einer Umstrukturierung hervor. 1994 wurde das damalige Bundesgesundheitsamt, nicht zuletzt als Folge eines Skandals [3] (Infektionen durch HIV-kontaminierte Blutprodukte für Hämophiliepatient*innen) aufgelöst. Die Nachfolgeeinrichtungen mit stärker fokussierten Zuständigkeiten wurden in der Folge mehrfach umstrukturiert [4]. Heutige Nachfolger sind u. a. das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und eben das RKI, auf dessen Website aktuell noch der Public-Health-Bereich vertreten ist [5]. Im Zuge der Corona-Pandemie gab es dann auch noch Wirbel um die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) [6], die nun im neuen BIPAM angesiedelt sein soll.
Nun geht also ein neues Bundesinstitut an den Start. Zwar ist die angekündigte Stärkung des Präventionsgedankens begrüßenswert, ob der Aufbau eines neuen Bundesinstituts jedoch sinnvoller ist, als z. B. die Stärkung bestehender Kompetenzen, z. B. in einer gestärkten Abteilung am RKI, bleibt abzuwarten: Neue Posten, neue Strukturen, der Wegfall bestehender Vernetzung – wie lange braucht der Aufbau eines neuen Instituts, bis es handlungsfähig ist? Was passiert in Sachen Prävention in der Zwischenzeit? Offen bleiben auch Fragen nach der Zukunft bisheriger Zuständigkeiten, z. B. der Ansiedlung der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS), deren Zuständigkeit bislang beim RKI lag. Wie wird sich diese Neuordnung schon jetzt und zum BIPAM-Start ab 2025 langfristig auswirken?
Ernährungsfachkräfte werden ohnehin weiter damit leben müssen, dass ihr Fachgebiet von verschiedenen Ministerien und Zuständigkeiten (Gesundheit, Ernährung und Landwirtschaft, Wirtschaft, Verbraucherschutz, Bildung) „bespielt“ und unterschiedlich gewichtet wird. Hoffentlich berücksichtigt das neue BIPAM: Zu Public Health gehören auch Public Health Nutrition und Ernährungsmedizin, aber auch viele nicht primär medizinische, sondern gesamtgesellschaftliche Aspekte, z. B. Bildung und soziale Teilhabe.

Kristin Leismann, Udo Maid-Kohnert

Literatur
1. Bundesministerium für Gesundheit: Präventions-Institut im Aufbau. www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/praeventions-institut-im-aufbau-pm-04-10-23  (last accessed on 4 October 2023).
2. Die Bundesregierung: Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. https://bit.ly/3FxdH3A  (last accessed on 12 October 2023).
3. Ärzte Zeitung: Der Aids-Skandal und die Zerschlagung des BGA. www.aerztezeitung.de/Politik/Der-Aids-Skandal-und-die-Zerschlagung-des-BGA-314223.html  (last accessed on 6 October 2023).
4. Großklaus D: Deutschland ohne Bundesgesundheitsamt – Eine kritische Analyse. www.aekb.de/fileadmin/News/PDF/import/00401_Deutschland_ohne_BGA.pdf  (last accessed on 6 October 2023).
5. Robert Koch Institut. Public Health – Mehr Gesundheit für alle. www.rki.de/DE/Content/Institut/Public_Health/PH_node.html  (last accessed on 19 October 2023).
6. Feldwisch-Drentrup H: Tagesspiegel vom 24.01.2021. www.tagesspiegel.de/politik/wer-ist-hier-der-boss-4225183.html  (last accessed on 6 October 2023).



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 11/2023 auf den Seiten M666 bis M667.

Das könnte Sie interessieren
Medienumschau 4/2024 weiter
Social Media und der Einfluss auf die Gesundheitskompetenz weiter
Hochschule Osnabrück entwickelt Handlungsempfehlungen gegen Lebensmittelverschwendung weiter
Globale Ernährungswende würde Gewinne in Höhe von mehreren Billionen US-Dollar erzielen weiter
Wirkung von Ballaststoffen auf die Gewichtsreduktion weiter
Folsäure kann angeborene Fehlbildungen verhindern weiter