Quallen könnten für EuropäerInnen als kalorienarmes Superfood in Form von Chips oder Proteinpulver attraktiv werden. ©Rost-9D/ iStock / Getty Images Plus

Ernährungssicherung: Zukunftsnahrung aus dem Meer

  • 04.06.2021
  • News
  • Anna Sidorenko

Die Weltbevölkerung wächst rasant. Im Jahr 2050 sollen schätzungsweise rund 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Da Ressourcen immer knapper werden, stellt dies die globale Nahrungssicherung vor große Herausforderungen. Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) gehen WissenschaftlerInnen daher der Frage nach, inwieweit das Meer Nahrungsressourcen birgt, die bisher noch kaum genutzt wurden, und wie diese nachhaltig verwertet werden können.

Derzeit bevölkern fast 7,8 Milliarden Menschen die Erde. In zehn Jahren werden es bereits 8,5 Milliarden sein. [1]
Gleichzeitig werden Ressourcen wie fruchtbares Land, Süßwasser und Mineraldünger immer knapper. Das stellt die globale Nahrungssicherung vor große Herausforderungen. Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) beschäftigen sich Forschende daher damit, inwieweit das Meer mit seinen vielfältigen Lebewesen bisher kaum genutzte Nahrungsressourcen birgt.

Das Forschungsteam des ZMT hat hierfür verschiedene Meeresbewohner, wie z.B. Quallen und Seegurken untersucht. Sie kommen in allen Weltmeeren vor und gehören zu den ältesten Lebewesen. „Zwar bestehen Quallen zu rund 97% aus Wasser, ihre Trockenmasse hat aber ein interessantes Nährwertprofil, das dem anderer Meeresfrüchte gleicht“, so der Meeresbiologe Holger Kühnhold. Sie seien fettarm und bestehen hauptsächlich aus Eiweiß mit einem teilweise hohen Anteil an essentiellen Aminosäuren, so Kühnhold. Bisher findet man Quallen lediglich in der asiatischen Küche in Suppen und Salaten. Für EuropäerInnen könnten sie als kalorienarmes Superfood in Form von Chips oder Proteinpulver attraktiv werden.

In Hinblick auf Meeresressourcen decken wir unseren Proteinbedarf häufig durch den Verzehr von großen Raubfischen, wie Lachs, Makrele oder Thunfisch. Leider ist das überhaupt nicht nachhaltig, da diese Fische zum Wachsen ein Vielfaches ihres Eigengewichts benötigen, so Kühnhold. Auch in Aquakultur muss dieser Bedarf mit Fischmehl und -öl gedeckt werden. Alternative eiweißreiche Meeresfrüchte wie Quallen, die weniger anspruchsvolle Nahrung benötigen, wären nachhaltiger.

In dem Kooperationsprojekt der Leibniz-Gemeinschaft „Food for the Future“, werden die Möglichkeiten neuer Nahrungsmittelressourcen von Kühnhold und KollegInnen erforscht und der Nährwert der noch weitgehend ungenutzten aber reichlich vorhandenen Quallenarten analysiert. Weiterhin werden die technischen Herausforderungen ihrer Zucht in Aquakultur geprüft. Dabei könnte vor allem die Mangrovenqualle, Cassiopeia andromeda interessant sein. Sie trägt kleine symbiotische Algen, die Photosynthese betreiben und ihr Energie liefern. Mit moderner LED-Technik könnte sie auch in einem urbanen Umfeld kultiviert werden.

Das ZMT untersucht auch andere potentielle Eiweißspender aus dem Meer auf ihren Nutzen für die Ernährung und die Möglichkeit, sie in Aquakultur zu züchten. Dabei rücken Seegurken, von denen es rund 1700 Arten gibt, in den Blick der Forscherenden. Sie kommen in allen Meeren von der Arktis bis in die Tropen vor. In Südostasien sind sie zum Beispiel als Einlage in Suppen und Eintöpfen sehr beliebt und werden dort als „Ginseng der Meere“ bezeichnet, da sie reich an Proteinen und Spurenelementen sind. Auch der europäischen Küche sind sie nicht ganz fremd. In Katalonien werden sie als kostspielige Delikatesse auf vielfältige Weise zubereitet.

Seegurken werden auch als „Staubsauger der Meere“, bezeichnet, da sie organische Bestandteile verdauen und den Sand wieder ausscheiden. Dies macht sie besonders wertvoll für eine Form der Aquakultur, die ökologische Probleme wie Umweltverschmutzung durch nährstoffreiche Abwässer zu umgehen versucht. Die integrierte Aquakultur (IMTA) kombiniert ganz unterschiedliche Zuchttiere und -pflanzen miteinander, die einen natürlichen Kreislauf bilden. Die Futterreste und Ausscheidungen beispielsweise von Fischen oder Garnelen werden von anderen Zuchtorganismen verwertet, wie Algen, Muscheln oder Seegurken. Somit gelangen weniger Abfallstoffe in die Umwelt und das zugegebene Futter wird effizient genutzt. Das ZMT untersucht, welche Tiere und Pflanzen interessante Kandidaten für solche Wohngemeinschaften unter dem Wasser wären, um die besten Synergieeffekte zu erzielen.
Weiterhin wird am ZMT an einer Algenart geforscht, die umgangssprachlich auch „Grüner Kaviar“ genannt wird. Die kleinen, runden Kugeln schmecken leicht salzig und zerplatzen im Mund wie Kaviar. Sie enthalten viele Proteine, Mineralstoffe, Antioxidantien und mehrfach ungesättigter Fettsäuren. In Kooperation mit Algenfarmern testet das Forschungsteam in Vietnam den Einsatz dieser Alge in der integrierten Aquakultur.


Literatur:
[1] Frankfurter Rundschau: Die Weltbevölkerung steigt besonders in Afrika rasant an – Städte wachsen unkontrolliert. Pressemeldung vom 24.08.2020
https://www.fr.de/zukunft/storys/megatrends/afrika-weltbevoelkerung-jahr-2100-bevoelkerung-einwohner-menschen-bevoelkerung-welt-geburtenrate-strategie-90026330.html

Quelle:
Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT). Pressemeldung vom 25.05.2021


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