Was bringt die Nationale Reduktionsstrategie? © bogdandreava/iStock/GettyImagesPlus

Monitoring-Ergebnisse der Nationalen Reduktionsstrategie: Unterschiedliche Auffassungen der gesundheitspolitischen Akteure

  • 08.04.2020
  • News
  • Dr. Sabine Schmidt

Unter der Überschrift „Wissenschaftliche Untersuchung bestätigt Wirksamkeit der Reduktionsstrategie: Anteile an Zucker, Kalorien, Salz in Fertiggerichten rückläufig!“ hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Ergebnisse eines ersten Monitorings der Nationalen Reduktionsstrategie veröffentlicht. Die Fachgesellschaften DDG und DAG stimmen der optimistischen Einschätzung durch das Ministerium nicht zu: „unverbindlich, zu langsam, zu wenig“, titelt die DAG, foodwatch bezeichnet die Strategie als „krachend gescheitert“.

© AOK-Cerealienstudie

Beauftragt mit der wissenschaftlichen Begleitung der Nationalen Reduktionsstrategie ist das Max Rubner-Institut (MRI)unter Leitung von Prof. Pablo Steinberg. „Aus ernährungsphysiologischer Sicht ist es sinnvoll, dass sich Verbraucher schrittweise an eine niedrigere Gesamtsüße von Lebensmitteln gewöhnen“, so Steinberg im Zusammenhang mit der notwendigen Reduktion von Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln.

Was zeigen die am 1. April vorgestellten Monitoringergebnisse und wie werden sie aufgenommen?

Das BMEL hebt u. a. diese Ergebnisse hervor: „18 % weniger Zucker in Quarkzubereitungen für Kinder“, „7 % weniger Zucker in Kinderjogurts“, „17 % weniger Zucker in Knusper-Schoko-Cerealien für Kinder“ und „tendenziell weniger Salz in Tiefkühl-Pizzen“ und stellt fest: „Es geht in die richtige Richtung.“

„Kinder“- und Fruchtjoghurt

Im Monitoringbericht des MRI1 wird ausführlicher dargestellt: „Die Joghurts mit Kinderoptik liegen trotz erfolgter Reduktion mit einem medianen Zuckergehalt von knapp 14 g/100 g Produkt immer noch über den Zuckergehalten der meisten anderen Joghurtzubereitungen, die nicht für Kinder beworben werden.“ „Auch beim Fruchtjogurt, der von den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit Abstand am häufigsten und in den größten Mengen gekauften Joghurtzubereitung, ist eine signifikante, aber geringe Reduktion der Zucker-und Energiegehalte zu verzeichnen.“ In absoluten Zahlen handelt es sich bei den Kinderjogurts um eine Reduktion von ca. 1 g/100 g.

Erfrischungsgetränke

Bei den Getränken gibt es kaum Veränderungen: „Mit 11 g/100 ml Getränk weisen Energy Drinks im Median den höchsten Zuckergehalt auf, gefolgt von Cola und Cola-Mischgetränken, Fruchtsaftgetränken und Limonaden. Getränke mit Kinderoptik haben mit 5 g/100 ml Getränk einen vergleichsweise geringen Zuckergehalt“, so das MRI. Immerhin haben die „Kinder“getränke einen niedrigeren Zuckergehalt als Limonaden im Allgemeinen, hier ist die Situation also umgekehrt im Vergleich zu den Jogurts. Bei erfolgter Zuckerreduktion muss man dann genau hinschauen, da Zucker z. T. durch Süßstoffe ersetzt wird, sich die Süße also nicht verringert.

Frühstückscerealien

Die Cerealien sind eines der „Sorgenkinder“ der ExpertInnen in der Gesundheitsförderung. Bei den in der Pressemeldung des BMEL herausgestellten „knusprigen Getreideerzeugnissen Schoko mit Kinderoptik kann im Vergleich zur Basiserhebung 2016 eine statistisch signifikante Reduktion der Zuckergehalte um 17% festgestellt werden“, so der Bericht des MRI. „Dennoch enthalten diese Produkte im Median noch rund 24g Zucker/100g Produkt. Knusprige Getreideerzeugnisse Honig, die an Kinder gerichtet sind, enthalten im Median 32 g Zucker/100 g Produkt (…). Für diese Honig-Produkte kann keine signifikante Veränderung der Zucker- und Energiegehalte im Vergleich zur Basiserhebung festgestellt werden.“ Die Honig-Produkte werden in der Pressemeldung des BMEL denn auch nicht erwähnt.

Laut einer aktuellen, von der AOK in Auftrag gegebenen Studie zum Zuckergehalt von Cerealien liegen 99 % der in Deutschland angebotenen Kindercerealien über dem von der WHO empfohlenen Zuckerhöchstgehalt von 15 g/100g. Einen Zuckergehalt über 40 % gibt es laut AOK-Studie überhaupt nur bei den Kindercerealien – in Form der „Smacks“ von Kelloggs. Dr. Kai Kolpatzik, Abteilungsleiter Prävention im AOK-Bundesverband, kommentiert dazu: „Der Zuckergehalt in Frühstückscerealien ist erschreckend hoch, speziell in Kinderprodukten. Vor diesem Hintergrund erscheinen die mit der Lebensmittelindustrie im Rahmen der Nationalen Reduktionsstrategie vereinbarten Ziele geradezu skandalös."

Salzgehalt

Betreffend den Salzgehalt wurde bisher zunächst nur das Produkt Tiefkühlpizza untersucht. „Eine signifikante Reduktion der Salzgehalte bei Tiefkühlpizzen“ ist laut MRI-Bericht „nicht festzustellen.“ „Relativ geringe Unterschiede gab es lediglich bei den Energiegehalten der Produktuntergruppen Pizza Speciale und Pizza Mozzarella.“ Dies wird vom BMEL bereits als „Trend“ aufgegriffen.

In Ihrem Fazit kommentieren die AutorInnen des MRI: „Das Ausmaß der Zuckerreduktionen ist unterschiedlich und teilweise zwar statistisch signifikant, aber hinsichtlich des absoluten Reduktionsergebnisses gering. Eine Zuckerreduktion korrespondiert nicht immer mit einem niedrigeren Energiegehalt der Produkte.“ Ein durchschlagender Erfolg in Form einer „bestätigten Wirksamkeit“ lässt sich aus der Bewertung des MRI nicht ablesen: „Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich bei vielen Produktgruppen das Produktspektrum in Richtung zuckerärmerer und energieärmerer Produkte ausgeweitet hat, es also größere Wahlmöglichkeiten für Verbraucherinnen und Verbraucher gibt, ernährungsphysiologisch günstigere Produkte zu kaufen. Teilweise zeigt sich aber auch, dass gerade die häufig gekauften Produkte im oberen Bereich der Zucker-und Energiegehalte liegen.“ Die Organisation foodwatch bezeichnet die Strategie in ihrer Pressemeldung daher als „krachend gescheitert“ bzw. „Bankrotterklärung“.

Etwas sachlicher, aber ebenfalls kritisch äußern sich andere Fachorganisationen. Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) kommentiert: „Der Bericht zeigt, dass der freiwillige Ansatz nicht funktioniert. Notwendig sind effektive verbindliche Maßnahmen zum Schutz der kindlichen Gesundheit wie ein Verbot von an Kinder gerichtete Werbung und eine höhere Besteuerung für überzuckerte Produkte.“ Professorin Dr. Martina de Zwaan, Präsidentin der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) sieht „bescheidene erste Erfolge“: „Eine gewisse Bewegung auf Herstellerseite ist erkennbar, die Ergebnisse fallen aber sehr heterogen aus und können insgesamt nur als ein erster zaghafter Beginn angesehen werden.“

Hauptkritikpunkte der DAG an der Reduktionsstrategie bleiben bestehen: „Singuläre Maßnahmen, wenige, unverbindliche Zielvereinbarungen über zu lange Zeiträume, Einbezug zu weniger Produktguppen, fehlende Sanktionierung bei ‚Underperformance‘.“ Die DAG fordert, wie viele andere wissenschaftliche Gesellschaften, „eine verpflichtende Ausweisung des NutriScore vorne auf den Verpackungen“, „preisliche Signale, z. B. eine ‚gesunde Mehrwertsteuer‘, die zuckerärmere Varianten verbilligt und zuckerreichere Varianten verteuert“ und ein „Werbeverbot für Produkte mit Kinderoptik“. De Zwaan konstatiert weiterhin: „Im Hinblick auf die Salzreduktion liegen in dem einzigen, bisher betrachteten Produktsegment Fertigpizzen noch keine statistisch, geschweige denn präventimedizinisch relevanten Ergebnisse vor. Sie stellt infrage, „wann sich die Hersteller bewegen wollen und was ihre Motivation steigern könnte“ und ergänzt „Bislang noch gar keine Zielvereinbarungen wurden in Bezug auf die Reduktion gesättigter Fette vereinbart.“

Kommentar: (scs) Sichtbar gehen die Meinungen zur Nationalen Reduktionsstrategie auseinander. Natürlich möchte das Ministerium seine Strategie als Erfolg verkaufen, ebenso ist es die Aufgabe der Public-Health-Player, begründete Kritik zu äußern. Am Beispiel der in der AOK-Cerealienstudie an der Spitze der Zuckergehalte stehenden „Smacks“ zeigt sich, was im MRI-Bericht ebenfalls erwähnt wird: Sind sehr zuckerreiche Produkte auf dem Markt, werden sie auch gekauft, tlw. sogar mehr als die angebotenen zuckerärmeren Varianten. Gerade bei den schon seit Jahrzehnten beliebten „Smacks“ wäre reichlich Zeit gewesen, nach und nach Zucker zu reduzieren. Und das mögliche und nicht von der Hand zu weisende Argument, dass weniger süße Produkte z. T. nicht gekauft werden, unterstützt doch gerade die Forderung nach einer gesetzlich festgelegten Höchstgrenze für Zucker – v. a., aber nicht nur in an Kinder gerichteten Produktgruppen und ggf. auch mit schrittweise sinkenden Zuckergehalten, um VerbraucherInnen eine Gewöhnung zu ermöglichen, die – laut Wissenschaft – funktioniert.


Literatur:
1 Max-Rubner-Institut: Produktmonitoring 2019. Ergebnisbericht
2
AOK, Pressemitteilung Cerealienstudie

Quellen:

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Pressemeldung vom 01.04.2020

AOK, Pressemitteilung vom 01.04.2020

foodwatch, Pressemitteilung vom 01.04.2020

Deutsche Diabetes Gesellschaft, Pressemitteilung vom 01.04.2020

Deutsche Adipositasgesellschaft, Pressemitteilung vom 02.04.2020

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