© LSOphoto/iStock/Getty Images Plus

Ernährungspolitik: Diskussion um Regulierung der an Kinder gerichteten Lebensmittelwerbung

  • 08.05.2023
  • News
  • Redaktion

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hatte im Februar 2023 Eckdaten für die geplante Regulierung von an Kinder adressierte Lebensmittelwerbung vorgestellt. Der Entwurf hat zahlreiche Debatten ausgelöst: Von Kritik seitens der Lebensmittel- und Werbeindustrie hin zu einer Studie, die das Nährwertprofilmodell der WHO für Deutschland evaluierte. Auch die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten und Foodwatch e. V. ordnen den Gesetzentwurf in einer Stellungnahme ein.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) bspw. warf Bundesernährungsminister Özdemir vor, das Gesetz verbiete Werbung für ganze Produktkategorien wie Käse, Jogurt, Müsli oder Maultaschen. Der Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) sprach von einem „weitgehenden Totalwerbeverbot für Lebensmittel“. Foodwatch hält dagegen, dass lediglich die Werbung für vereinzelte Lebensmittel wie Eiscreme und gesüßte Getränke stark eingeschränkt sei. In anderen Produktkategorien wie Jogurt, Käse oder Müsli gebe es eine Vielzahl an Produkten, die weiterhin uneingeschränkt beworben werden dürften.

Kernstück des geplanten Gesetzes ist die Regelung, dass nur noch solche Lebensmittel gegenüber Kindern beworben werden dürfen, welche die Kriterien des Nährwertprofilmodells der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfüllen. Dieses Modell wurde in den letzten Wochen kritisiert – es impliziere ein „Totalwerbeverbot für Lebensmittel“, sei „weltfremd“ und „in der Praxis nicht umsetzbar“. Das Medizin- und Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) hat hierzu einen Faktencheck erstellt.

Das WHO-Nährwertprofilmodell wurde im Rahmen seiner Entwicklung in verschiedenen europäischen Ländern pilotiert, nicht aber in Deutschland. In einem erst kürzlich veröffentlichten Preprint von Nicole Holliday et al., 2023 wurden die praktische Anwendbarkeit und die Implikationen einer Anwendung des WHO-Nährwertprofilmodells in Deutschland untersucht [1].

Insgesamt wurde die praktische Anwendbarkeit des WHO-Modells im Rahmen der Studie als gut befunden – nur an einzelnen Punkten wären im deutschen Kontext Anpassungen nötig. So gibt es bspw. in Deutschland – wie in der restlichen Europäischen Union auch – keine Kennzeichnungspflicht für Trans-Fettsäuren, weshalb die Einhaltung des entsprechenden Grenzwerts des WHO-Modells nicht überprüft werden konnte. Ebenso könnte es aus Gründen der Konsistenz sinnvoll sein, nicht nur, wie vom BMEL angekündigt, Milch, sondern auch Jogurt und pflanzliche Milchalternativen vom Fett-Grenzwert auszunehmen. Das WHO-Modell sieht für alle drei Produktkategorien eine Obergrenze von 3 g Fett pro 100 g Produkt vor.

Im Schnitt halten etwa 40 % der Lebensmittel die vom Bundesernährungsministerium vorgeschlagenen Grenzwerte für Energiegehalt, Zucker, Fett und Salz ein. Folglich bedeutet dies aber auch, dass in den meisten Lebensmittelkategorien eine beträchtliche Zahl von Produkten weiterhin uneingeschränkt beworben werden kann. Von einem „Totalwerbeverbot“ kann demnach keine Rede sein, der Gesetzesentwurf stellt einen wichtigen Baustein für den Schutz der Kinder dar.


Literatur:

1. Holliday N, Leibinger A, Huizinga O et al.: Application of the WHO Nutrient Profile Model to products on the German market: Implications for proposed new food marketing legislation in Germany. medRxiv 2023; 23288785. doi.org/10.1101/2023.04.24.23288785.

Quellen:

  • Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie: Warum ein Werbeverbot allen schadet. Pressemeldung vom 23.03.2023.
  • Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten: Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung: Experten fordern Unterstützung der Ampel-Koalition für Özdemirs Pläne. Pressemeldung vom 02.03.2023
  • Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten: Faktencheck zu Aussagen der Ernährungsindustrie – Wissenschaftsbündnis DANK: „Diese Kampagne ist irreführend auf allen Ebenen“. Pressemeldung vom 02.03.2023
  • Foodwatch: Cem Özdemirs geplante Werbeschranken: Diese Produkte wären wirklich betroffen –Industrieverbände führen Öffentlichkeit mit Lobby-Kampagne hinters Licht. Pressemeldung vom 04.05.2023
  • Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e. V.: Keine evidenzbasierte Politik: BMEL kündigt weitgehendes Totalwerbeverbot für Lebensmittel an. Pressemeldung vom 27.02.2023
Das könnte Sie interessieren
Pflanzliche Speisefette und –öle. Teil 4: Palmöl weiter
Die Rolle der Ernährungstherapie in der Behandlung von Essstörungen weiter
Alternative Ernährungsformen weiter
© BobGrif/iStock/Getty Images Plus
Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung weiter
Hitzige Debatten weiter
MEDPass oder herkömmliche Verabreichung von oraler Nahrungssupplementation weiter