Kakao in der Schule: Ernährungswissenschaftler, Ärzteschaft und die Weltgesundheitsorganisation kristieren gleichermaßen den zu hohen Konsum zuckerhaltiger Lebensmittel. © KatarzynaBialasiewicz / iStock / Getty Images Plus
Ernährungswissenschaftler, Ärzteschaft und die Weltgesundheitsorganisation kristieren gleichermaßen den zu hohen Konsum zuckerhaltiger Lebensmittel. © KatarzynaBialasiewicz / iStock / Getty Images Plus

Foodwatch-Recherche: Streit um gezuckerten Kakao in der Schule

  • 11.10.2018
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Bei den derzeitigen Zahlen übergewichtiger Kinder in Deutschland und aus Gesundheitsgründen schwer nachvollziehbar: In Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen haben die Landesregierungen entschieden, mit dem Geld aus dem EU-Schulprogramm auch Kakao weiter zu subventionieren. Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisiert diese "Absatzförderung zu Lasten der Kindergesundheit".

Die von der EU bereitgestellten 10,5 Millionen Euro Schulmilchsubvention für Deutschland für das Schuljahr 2016/17 wurden an die teilnehmenden Bundesländer verteilt. Doch diese handhaben den Einsatz des Geldes offenbar sehr unterschiedlich und finanzieren damit unter anderem auch Trinkpäckchen mit Kakao. Allein in Nordrhein-Westfalen (NRW) sollen laut Foodwatch bis zu 90 Prozent der Milchpäckchen für Schulen aus gezuckertem Kakao bestehen. 

„Politiker sagen den Eltern, sie sollen sich um eine ausgewogene Ernährung ihrer Kinder kümmern. Aber an den Schulen, wo die Kinder in staatlicher Obhut sind, da fördert man noch den Zuckerkonsum, damit es noch mehr wird. Das ist das absolut falsches Signal und der Fehlanreiz im System", kritisiert Martin Rücker von Foodwatch in der Fernsehsendung Frontal 21.

In ihrem diese Woche in Düsseldorf vorgestellten Report „Im Kakao-Sumpf: Von gekauften Studien bis zur wundersamen Partnerschaft von Milchwirtschaft und Politik“ berichtet die Organisation detailliert über langjährige Verflechtungen zwischen Milchwirtschaft, Wissenschaftlern und Politik. Am Beispiel NRW zeigt Foodwatch, wie das Schulmilchprogramm auch zur Förderung des Milchabsatzes dient.

Landwirtschaftsministerin in NRW sieht keinen Handlungsbedarf

Zu einer ausgewogenen Ernährung von Kindern und Jugendlichen und einer guten Calciumversorgung zählen laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) auch Milch- und Milchprodukte. In einer Publikation der DGE zu ausgewählten Fragen und Antworten zu Calcium heißt es "Calciumlieferant Nr. 1 sind Milch und Milchprodukte (mit Ausnahme von Quark)". Da sich Kinder und Jugendliche in einer ausgeprägten Wachstumsphase befinden, benötigen sie im Alter von 10 bis 12 Jahren 1100 Milligramm Calcium pro Tag und im Alter von 13 bis 18 Jahren 1200 Milligramm. Die im Dokument enthaltene Übersichtstabelle zeigt eine Auswahl an Lebensmitteln, die den täglichen Bedarf decken. Gezuckerte Varianten sind hier keinesfalls zu finden – auch nicht für die Ausnahmesituation, dass Kinder eventuell den Geschmack purer Milch nicht mögen.

Die zuständige Landwirtschaftsministerin in NRW, Ursula Heinen-Esser (CDU), sieht das im Frontal 21-Beitrag deutlich anders: „Ich persönlich halte das für richtig, dass die Kinder auch Kakao trinken können, wenn sie geschmacklich mit der reinen Milch nicht klar kommen. Der Calciumbedarf, den die Kinder täglich brauchen, ist hoch."

Die Recherchen von Foodwatch am Beispiel NRW haben unter anderem ergeben, dass die Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW den offiziellen Auftrag der Landesregierung hat, „Werbung zur Erhöhung des Verbrauchs von Milch“ zu machen – „insbesondere“ auch durch „Förderung des Schulmilchabsatzes“. Die Landesvereinigung dürfte somit ein entsprechendes Interesse daran haben, ihren Produkte optimal zu platzieren. Die Absprachen mit der Landesregierung sind hier offenbar deutlich von der Industrie dominiert, so berichtet Foodwatch weiter, dass Lieferanten wie "Landliebe" mit einem Stopp der Schulmilchlieferung drohen, wenn Kakao nicht länger gefördert wird. Der Schulmilch-Kakao von Marktführer "Landliebe" hat einen Zuckergehalt von 8,7 Prozent und bewegt sich damit fast auf dem Niveau von Softdrinks. Viele Schulkinder nehmen über die 250-Milliliter-großen Kakao-Trinkpäckchen jeden Tag mehr als sieben Stück Würfelzucker zu sich. Damit erreichen sie bereits fast die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für einen ganzen Tag kalkulierte Zuckermenge.



Weiterlesen: Schulmilchprogramm im Lobby-Sumpf: Report entlarvt jahrzehntelange Verflechtung zwischen Milchwirtschaft, Wissenschaftlern und Politik in NRW

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