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„Food Addiction“ wird als neue Facette von Sucht beziehungsweise Essstörungen kontrovers diskutiert. © OcusFocus / iStock / Thinkstock

Food Addiction: Esssucht? Lebensmittelsucht? Oder keines von beiden?

  • 19.06.2017
  • News
  • Stella Glogowski

Es gibt viele Erklärungsansätze für die weltweit steigende Adipositasprävalenz und die Zahl der Menschen, die immer wieder weit über den Hunger hinaus essen. Seit einigen Jahrzehnten wird auch „Food Addiction“ als neue Facette von Sucht beziehungsweise Essstörung als (mit)verantwortlicher Faktor diskutiert.

Weshalb sind so viele Menschen übergewichtig oder sogar adipös? Liegt es an der adipogenen, also Adipositas-fördernde Umgebung, unserer (epi)genetischen Ausstattung, den biografisch verfestigten Verhaltensmustern und der zugrundeliegenden Psyche samt Wissensstand des Einzelnen…? Oder ist es der nun seit einigen Jahrzehnten von der Fachwelt vermutete Zusammenhang zwischen Essen und Sucht?

Dieses als „Food Addiction“ bezeichnete Konstrukt als neue Facette von Sucht beziehungsweise Essstörungen wird kontrovers diskutiert, zum Beispiel, ob es sich eher um eine Esssucht, also suchtartiges Essverhalten und damit eine Verhaltensstörung handelt, oder ob es sich eher um eine Art von Substanzgebrauchsstörung handelt, also eine Sucht nach bestimmten (prozessierten) Lebensmitteln wie Süßigkeiten, Fast Food oder Einzelbestandteilen (Zucker, Fett, Salz) – oder ob es gar eine Überlappung von Verhaltensstörung und Substanzgebrauchsstörung ist.

Komplexe Phänomene

Neben Tierexperimenten und neurokognitiven Humanstudien geht die „Food-Addiction”-Forschung auch den Zugangsweg über Fragebögen. Einer dieser Selbstauskunftsfragebögen steht im Mittelpunkt des Special-Beitrags von Carolin Hauck und Thomas Ellrott in der aktuellen ERNÄHRUNGS UMSCHAU. Die Yale Food Addiction Scale (YFAS), die auch in deutschsprachiger Form vorliegt und klinischen Einsatz finden könnte, schätzt die psychische Disposition des Essverhaltens für einen möglichen Suchtkontext ab. Bedenkt man die langen Debatten um die Anerkennung der Adipositas als eigenständige Krankheit, dann ergibt sich die Frage: Welche Auswirkung hätte es, wenn „Food Addiction“ tatsächlich in die medizinischen Diagnoseschlüssel aufgenommen würde? Für das Gesundheitssystem (Prävention und Therapie), die Lebensmittelindustrie (Angebot und Werbung), die öffentliche Gesundheit und die evtl. Betroffenen (Stigmatisierung)?

Da „Food Addiction“ in engem Zusammenhang mit der Diagnose „Essstörungen“ steht, ist eher davon auszugehen, dass sie innerhalb dieser Diagnose eine verfeinerte Beschreibung und Therapie ermöglichen könnte. „Food Addiction“ würde also nicht unbedingt mehr Fälle abbilden oder erfassen – ähnlich wie bei Burnout, das keine eigenständige Diagnose ist, sondern starke Überlappungen mit Depression aufweist. Also, nicht jeder, der bei Chips, Schokolade oder Pizza kein Ende finden kann oder will, wäre als „süchtig“ einzuordnen – zumal Hauck und Ellrott betonen, dass nur bei Leidensdruck eine „Diagnose“ gestellt werden könnte.

Klar ist: Essverhalten, overeating („Überessen“) und Adipositas sind komplexe Phänomene, was unter anderem bedeutet, dass viele Komponenten Einfluss nehmen. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, sollten Ernährungsfachkräfte möglichst viele Komponenten kennen und verstehen – und eines dieser Puzzleteile scheint „Food Addiction" zu sein.

Stella Glogowski

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