„Normale Tätigkeiten strengen plötzlich viel mehr an." Dr. Sascha Allan Filz unterwegs mit und ohne Adipositasanzug. © PerspektivenPioniere

Simulation von Übergewicht: Fatsuits machen empathischer

Kürzlich veranstaltete die Gießener Studentengruppe der Deutschen Gesellschaft der qualifizierten Ernährungstherapeuten und Ernährungsberater – QUETHEB e.V. einen interaktiven Workshop zu dem Thema Adipositas-Therapie. Dabei simulierten die Teilnehmer Berater-Patienten-Gespräche anhand vorgegebener Fallbeispiele und mithilfe sogenannter Adipositasanzüge.

Ziel des Workshops war es, interessierten Studenten der Ernährungs- und der Sportwissenschaften die Praxis hinter der Beratungstheorie näher zu bringen. Der QUETHEB e. V. setzt sich für die berufspolitische Etablierung einer qualitätsgesicherten Ernährungstherapie ein. In Gießen leiteten Jessica Henrich und Sabrina Reinl das Seminar, bei dem die Simulation von Übergewicht mittels sogenannter Fatsuits ein Highlight war.

Das Probetragen der Volumenanzüge sollte den 20 Teilnehmern ermöglichen, sich in übergewichtige Patienten hinein zu versetzen. Zur Verfügung gestellt wurden die Anzüge von Dr. Sascha Allan Filz, Arzt und Inhaber des Unternehmens PerspektivenPioniere. „Der Grundgedanke ist Erfahrungen über das zu sammeln, worüber man sonst nur spricht", sagt Filz. In dem Moment, in dem der Teilnehmer das Übergewicht am eigenen Körper erlebe, könne sich seine Sichtweise auf die erforderliche Beratung grundlegend ändern. „Nach der Erfahrung mit dem Anzug steigt die Empathie für den Patienten meist an, da jeder Ernährungstherapeut aus der eigenen Perspektive berät", erklärt Filz.  

Alltagssituationen neu erleben
© Caroline Krämer
Plötzlich übergewichtig: Jessica Henrich (li.) und Sabrina Reinl im Adipositasanzug. © Caroline Krämer

Der Anzug soll zum Beispiel dazu beitragen, Tücken und Beschwerlichkeiten des Alltags bei Adipositas spielerisch kennenzulernen. Die Übergewichtssimulation verdeutlicht den Unterschied von gewohnten Tätigkeiten mit bis zu 30 Kilogramm mehr am Körper. „Normalerweise tragen die Probanden Gewichte, die das eigene Gewicht um 20 Prozent aufstocken", sagt Filz. „Doch der gefühlte Body-Mass-Index ist plötzlich viel höher."

Bereits zwölf Kilo mehr können laut Filz die Haltung, den Gang und andere Bewegungsmuster deutlich verändern. Nach wenigen Minuten im Anzug zeigten sich auch bei den Gießener Studenten erste Erschöpfungserscheinungen. „Wenn schon einfache Tätigkeiten wie Schuhebinden schwerfallen, bricht innerlich Stress aus", erklärt der gelernte Arzt. 

Üblicherweise spielen die Workshopteilnehmer mehrere Stufen durch:

  1. Ankleiden mit dem Fatsuit;
  2. aufstehen aus der Rückenlage;
  3. im Stuhl mit Seitenlehnen sitzen und wieder aufstehen;
  4. Treppen hoch- und herabsteigen (bei Letzterem ist das Blickfeld durch das Übergewicht eingeschränkt);
  5. und ggf. noch eine Übung mit höherer körperlicher Belastung wie ein Strecksprung oder Liegestütze.
© Caroline Krämer
Betreuten den Workshop (v. l.): Sabrina Reinl, Dr. Sascha Allan Filz, Susanne Müller und Jessica Henrich. © Caroline Krämer

Der Fatsuit kann einen sinnvollen Beitrag leisten, Normalgewichtige für starkes Übergewicht zu sensibilisieren, da Theoretisches erlebbar wird. „Aber auch Übergewichtige sollten den Anzug selber ausprobieren", empfiehlt Filz. Schließlich schaffe das Ablegen der Gewichte sofortige Erleichterung. Der Suit liefert so Anreize, Lebens- und Ernährungsgewohnheiten zu ändern und an Gewicht zu verlieren. Sein Einsatz in Workshops kann außerdem die Kommunikation zwischen Ernährungsberater, Arzt, Gesundheitsfachkraft und Patienten verbessern.

Fachlich begleitet wurde der Workshop von Diätassistentin und Dipl. Oecotrophologin Susanne Müller. Sie erläuterte die wichtigsten Grundlagen zur Adipositas, deren Therapie in Form von aktuellen Leitlinien und die mit Adipositas assoziierten Folge- bzw. Begleiterkrankungen. Mit ihr diskutierten die Teilnehmer auch über das Thema Adipositas-Chirurgie inklusive der Bedeutung der Ernährungstherapie in der Vor- und Nachsorge.

ck/mya



Weitere Informationen:

Deutsche Gesellschaft der qualifizierten Ernährungstherapeuten und Ernährungsberater - QUETHEB e.V.

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