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Online News: Adipositas „Abnehmspritzen“ als Thema beim Update Ernährungsmedizin

  • 29.11.2023
  • News
  • Dr. Sabine Schmidt

Bis zu 500 Teilnehmende verfolgten online das diesjährige Update Ernährungsmedizin der Hochschule Fulda in Zusammenarbeit mit der TU München und dem Else Kröner Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin (EKFZ). Die neue „Abnehmspritze“ zur Adipositastherapie war ebenfalls Thema der Veranstaltung.

„Gibt es die Wunderspritze wirklich?“
Diese Frage stellte Prof. Stefan Engeli von der Universitätsmedizin Greifswald zum hochaktuellen Thema GLP1-Rezeptor-Agonisten in der Adipositastherapie. Medikamente aus dieser Wirkstoffgruppe, auch Inkretinmimetika genannt, wurden ursprünglich für die Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen. Sie verzögern die Magenentleerung und bewirken dadurch über die zentrale Appetitregulation ein verstärktes Sättigungsgefühl. Nach Studienergebnissen mit ausgeprägten Gewichtsabnahmen der Teilnehmenden sind zwei Medikamente inzwischen in Deutschland auch für die Therapie der Adipositas zugelassen: Liraglutid (®Saxenda, Injektion 1x/Tag) und Semaglutid (®Wegovy, Injektion 1x/Woche). Beide sind in Deutschland und Europa nur auf Rezept erhältlich, Voraussetzung für die Verordnung ist ein BMI über 30, bei Begleiterkrankungen über 27. Die Medikamente werden allerdings zurzeit nicht von den Krankenkassen erstattet. Bei Kosten bis zu knapp 4000 Euro pro Jahr können viele sich diese Therapie daher gar nicht leisten. Denn die Wirkung hält nur an, solange das Medikament eingenommen wird. Es ist daher von einer langfristigen, über viele Lebensjahre dauernden Einnahme auszugehen, um den Abnehmerfolg halten zu können. Die „Wunderspritze“ ist also bisher eine sehr teure Therapie, aber hält sie bei der Gewichtsabnahme, was sie verspricht? Die Wirkung auf die Gewichtsabnahme ist tatsächlich höher als bei allen anderen bekannten Diät- oder medikamentösen Therapien. Engeli zeigte Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, in denen Liraglutid bei über 60 % (zum Vergleich Placebo: 27 %) der Patient*innen zu einer Gewichtsabnahme über 5 % des Körpergewichts und bei immerhin 14 % über 15 % des Körpergewichts führte (Pi-Sunyer et al 2015). Bei Semaglutid liegen die Zahlen noch höher, hier verloren in einer Studie über 85 % der Patient*innen mehr als 5 % (Placebo: 31 %), mehr als die Hälfte über 15 % und ein Drittel sogar über 20 % Gewicht (Placebo: < 2 %) (Wadden et al. 2021). Weitere Medikamente, die nicht nur den GLP1-Rezeptor aktivieren, sondern noch weitere (duale bzw. Tripleagonisten), z. B. den Rezeptor für das Glukoseabhängige Insulinotrope Peptid (GIP), zeigten sich in Studien als noch wirksamer, hier wurden z. T. Gewichtsabnahmen von über 25 % (Tirzepatid) bzw. 30 % (Retatrutid) erzielt. Diese Medikamente befinden sich jedoch noch in der Studien- bzw. Zulassungsphase. Die häufig vorkommenden gastrointestinalen Nebenwirkungen wie Völlegefühl, Übelkeit oder Diarrhö und weitere seltenere Nebenwirkungen erfordern dabei neben einer diätetischen Betreuung ein striktes Dosierungsschema und eine unbedingte ärztliche Betreuung während der Einnahme, so Engeli.

Vom Diabetes- zum Lifestyle-Medikament
Darauf, dass wie Diabetes Typ 2 auch Adipositas eine Erkrankung ist und kein Lifestyle-Problem, weist die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) in einer aktuellen Meldung hin. Professor Stephan Petersenn, Pressesprecher der DGE, schränkt jedoch gleichzeitig ein: „Mit den GLP1-Agonisten besteht eine interessante Therapieoption, die jedoch immer in Zusammenhang mit diätetischen Maßnahmen erfolgen sollte.“ Wichtig sei, dass „die Anwendung nur unter erfahrener ärztlicher Begleitung [...] erfolgt“. „Die unkontrollierte Anwendung ohne Indikation ist mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden, etwa Übelkeit und Erbrechen. Aber auch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase können die Folge sein.“ Zudem wisse man bisher nichts über Langzeitwirkungen, fügt Prof. Harald J. Schneider, Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der DGE hinzu. Tatsächlich ist der Wirkstoff Semaglutid aufgrund der steigenden Nachfrage und Nutzung zur Gewichtsreduktion insbesondere in den USA laut Schneider inzwischen mancherorts knapp geworden. Aufgrund von Lieferengpässen sei es in Europa derzeit nicht erhältlich.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Pressemeldung vom 04.11.2023

Auch die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) weist auf die aktuellen Arzneimittel-Engpässe bei den GLP1-Rezeptor-Agonisten hin. Laut Prof. Martin Scherer, Präsident der DEGAM, werden die Substanzen, die für die Diabetes-Medikation gebraucht werden, nun zunehmend für die Herstellung von Arzneimitteln, die rein zum Abnehmen sind, genutzt und dabei aggressiv beworben. Da die Menge an Wirkstoff, die zur Verfügung steht, begrenzt ist und Arzneimittel zur Gewichtsreduktion ein lukratives Geschäft sind, kommt es in der Versorgung von Menschen mit Typ-2-Diabetes nun zu Engpässen. Trotz der hohen Kosten steige die Nachfrage für die Abnehmspritzen dabei auch bei (jungen) Menschen, die nicht sehr oder gar nicht adipös sind. „Es darf keine Normalität werden, dass Patienten, die vielleicht gar nicht stark übergewichtig sind, unter Druck geraten, die Medikamente zu nehmen, um einem gesellschaftlichen Idealbild um jeden Preis zu entsprechen“, so Scherer. Für Phasen, in denen es Engpässe für die Diabetes-Arzneimittel gibt, weist die DEGAM auf die gültigen Leitlinienempfehlungen hin. Für Patient*innen, bei denen Metformin als Basis-Medikation nicht ausreicht oder nicht vertragen wird, stehe mit dem Medikament Glibenclamid eine wirksame Therapie als Alternative zu Inkretinmimetika zur Verfügung.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V., Pressemeldung vom 19.10.2023

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