Darmhirn und Mikrobiom: 2 Themen, zu denen Prof. Schemann und Prof. Bischoff auf dem diesjährigen Update Ernährungsmedizin neueste Erkenntnisse vermittelten. © wildpixel/iStock/GettyImagesPlus

Potenzial der Ernährungsmedizin in Deutschland nicht ausgeschöpft: Bericht vom Update Ernährungsmedizin 2019

Große Aufmerksamkeit für die Vorträge des ausgebuchten Update Ernährungsmedizin © EKFZ, TUM

Mikrobiom – Update zur klinischen Relevanz

Zum zweiten, hoch aktuellen und viel beforschten gastroenterologischen Thema referierte Prof. Stephan Bischoff, Universität Hohenheim, mit einem ebenso spannenden Update zum Mikrobiom. Als „microbiome boom“ bezeichnete er die Tatsache, dass in etwas mehr als 10 Jahren über 250000 Publikationen zum Mikrobiom entstanden seien. Warum die Darmbakterien für uns so interessant sind, erklärte er wie folgt: Die Bakterien leben so eng mit uns zusammen, dass man sie als internen Teil unseres Organismus sehen müsse. Dadurch und durch ihren immens größeren und sich schneller wandelnden Genpool beeinflussen sie viele Parameter und Stoffwechselvorgänge – im Darm und darüber hinaus.

Schlüsselfunktionen des Mikrobioms (MB) liegen daher nicht nur in der Unterstützung der Verdauung, sondern u. a. auch in der Immunabwehr und der Kommunikation zwischen zentralem und enterischem Nervensystem – wie genau, wird noch lange Gegenstand der Forschung bleiben. Nachgewiesen ist, dass die Ernährungsform Einfluss auf die vorhandenen Bakterienstämme nimmt: Die westliche Ernährungsform bspw. erzeugt eine andere Mikrobiota als andere Nahrungsmuster (mehr Firmicutes, weniger Bacteroidetes). So weit, dass individuelle Analysen des MB aussagekräftig für eine Therapie mit Darmbakterienstämmen wären, ist die Forschung Bischoff zufolge allerdings noch nicht, auch wenn Anbieter individueller MB-Analyse und -therapie zurzeit auf den Markt drängen. Die wichtigste Maßnahme für eine gesundheitsförderliche Zusammensetzung des MB sei ein Nahrungsmuster mit wenig Zucker und vielen von Darmbakterien verwertbaren Ballaststoffen.

Cholesterin – ein altes, neues Thema?

Wie gut kann Ernährungstherapie den Cholesterinwert im Blut senken? – die Antwort (sehr gut!) auf diese für die ernährungsmedizinische Praxis immer noch relevante Frage gab Prof. Stefan Lorkowski von der Universität Jena, in seinem Referat. Zunächst wies er darauf hin, dass den neuen Richtlinien zufolge gesättigte Fettsäuren in zu hohen Mengen weiterhin als gesundheitsschädlich angesehen werden. Sowohl die Gesamtzufuhr an Fetten als auch an Kohlenhydraten betreffend ergibt die Studienlage, dass eine mittlere Zufuhr mit der geringsten Mortalität verbunden ist. Auch neueren Studien zufolge sei dagegen eine hohe Cholesterinzufuhr und ein hoher Eierverzehr mit erhöhter Mortalität verbunden. Entscheidend für die Höhe des (für Herzerkrankungen einzig relevanten) LDL-Werts ist ihm zufolge der Lebensstil insgesamt: Lorkowski zeigte, dass in Deutschland der LDL-Wert von der Kindheit zum Erwachsenenalter um das 1,5fache steigt, was auf eine lebensstilbedingte Veränderung hinweise.

Eine eigene Interventionsstudie mit sehr ballaststoff- (40–50 g/Tag) und n-3-fettsäurereicher (500 mg/Tag) Kost konnte den LDL-Wert der Interventionsgruppe im Mittel um 15 % (max. 30 %) senken. Lorkowski postuliert, dass jeder Mensch einen genetisch bedingten, unteren LDL-Wert hat, auf den lebensstilbedingt „aufgeladen“ wird. Da der Anteil der Mortalität durch falsche Ernährung bei kardiovaskulären Erkrankungen in Deutschland bei 46 % (Übergewicht herausgerechnet) liege und man sein Mortalitätsrisiko für kardiovaskuläre Erkrankungen durch geeignete Ernährung halbieren könne, betonte er die große Bedeutung einer gesunden Ernährung: Gesundheitsabträgliche, energiedichte Lebensmittel durch mikronährstoff- und ballaststoffreiche Lebensmittel, ein Teil der gesättigten Fettsäuren durch nichttropische pflanzliche Öle zu ersetzen.

Nach jahrelanger Entwicklung: LEKuP wird „Rationalisierungsschema“ ersetzen

Mit einer guten und lang erwarteten Nachricht wartete Prof. Hauner am 2. Seminartag selbst auf: Der neue „Leitfaden Ernährungstherapie in Klinik und Praxis“ (LEKuP) wird Ende des Jahres veröffentlicht und auf den Internetseiten aller beteiligten Fachgesellschaften (darunter DGEM und DGE) frei zugänglich sein. LEKuP definiert nach aktuellsten Erkenntnissen eine gesundheitsfördernde Ernährung bei Gesunden sowie ernährungstherapeutische Kost bei allen ernährungsrelevanten Krankheitsbildern. Die Basis einer gesundheitsfördernden Ernährung bildet demnach die vollwertige Kost nach DGE wie auch als Alternativen die Mittelmeerkost und die vegetarische Ernährung.

Indikationen zu besonderen Ernährungsformen sind nach Krankheitsbildern gegliedert, dazu gehören bspw. die Oberkategorien Mangelernährung, Herzkreislauf-Erkrankungen, Nierenkrankheiten, entzündlich rheumatische Erkrankungen, onkologische und gastroenterologische Krankheiten. Als Referenzen dienen die evidenzbasierten Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften. Zielgruppen für die Definition ernährungstherapeutischer Maßnahmen in LEKuP sind Ernährungsfachkräfte, ErnährungsmedizinerInnen sowie Personen oder Institutionen, die für die Sicherstellung adäquater Ernährungstherapie verantwortlich sind. Die Ernährungs Umschau wird nach Veröffentlichung von LEKuP weiter berichten.

Fazit

Ernährungstherapie hilft – nicht nur bei Mangelernährung. Deutschland aber ist ein „Entwicklungsland“ die Verordnung von Ernährungstherapie betreffend, so betonte Hauner in den letzten Jahren mehrfach. Es gilt, die Aufmerksamkeit für ernährungsmedizinische Erfolge politisch und gesellschaftlich, zuvorderst aber in der Ärzteschaft zu stärken. Hierzu ist das Update Ernährungsmedizin, bei dem sich Ärzte/Ärztinnen und ErnährungsmedizinerInnen mit ErnährungstherapeutInnen treffen, sich mit aktuellen Informationen versorgen und sich (noch mehr) austauschen können, eine überaus geeignete Veranstaltung. Es gilt, die Pressearbeit zu intensivieren, damit auch die überregionale und Fachpresse verstärkt auf die interessanten Inhalte der jährlichen Veranstaltung aufmerksam wird und diese in die Medien trägt.

Sabine Schmidt, Pohlheim


Quellen:

1. OPS = Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS): amtliche Klassifikation zum Verschlüsseln von Operationen, Prozeduren und allgemein medizinischen Maßnahmen in Krankenhäusern.
2. Marshal O (2018) Mangelernährung bei Tumorpatienten. Ernährungs Umschau 65(9): M514–M518

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