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Ernährungsthemen lassen sich heute nicht mehr ohne Blick auf weltweite Zusammenhänge diskutieren. Foto: © OJO/Images/GettyImages

Gelungener Themenmix, globale Perspektive blieb ausgeblendet

Mit dem Motto Mehr oder weniger?! Lebensstiländerung als gesellschaftliche Herausforderung packte das BZfE-Forum in diesem Jahr ein kontrovers diskutiertes Feld der Gesundheits- und Ernährungspolitik an. Die weltweite Sicht blitzte nur selten auf.

Das diesjährige Motto des Forums Mehr oder weniger? Lebensstil als gesellschaftliche Herausforderung ist nicht nur politisch hoch brisant. Umso mehr ist es OrganisatorInnen und ReferentInnnen hoch anzurechnen, dass aktuelle Kontroversen wie die Debatten um NutriScore, Zuckersteuer oder ethische Aspekte des Nudging-Ansatzes nicht nur angesprochen, sondern die jeweiligen Argumente auch vertieft und durchaus mit persönlicher Positionierung der ReferentInnen vorgetragen wurden. Während die Teilnehmerbefragungen via BERTA-App eher digitaler Gimmick waren, oft hakelten und so viel Echtzeit für Fragen über die Saalmikrofone verlorenging, schafften es die gelungene Moderation und die ReferentInnen, die zahlreichen Herausforderungen einer Lebensstiländerung – vor allem mit Blick auf die gesundheitliche Relevanz – anhand aktueller Informationen und Praxisbeispiele zu beleuchten: viel nützlicher Input, Denkanstöße und Möglichkeit zur Vernetzung für Ernährungsfachkräfte. Die zahlreichen Appelle zur Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachdisziplinen (z. B. Beratung, Verhaltensforschung, Lebensmittel- und Informationstechnologie) und Stakeholdern (z. B. Ernährungswissenschaft, Industrie, Politik, Medien) sind sicher richtig und wichtig.

Globale Sicht oft ausgeblendet

Dennoch: Mehr oder weniger? Lebensstil als gesellschaftliche Herausforderung erinnert an das Thema des wissenschaftlichen DGE-Kongresses 2017 in Kiel: Ernährungs- und Lebensmittelforschung – werden wir den gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht? Bereits damals wurde herausfordernd gefragt, ob Ernährungswissenschaft und Politik engagiert genug an einer nachhaltigen Ausrichtung des Ernährungssystems arbeiten. Hier hätte das diesjährige BZfE-Forum häufiger den Blick von deutschen oder bestenfalls europäischen Gesundheitsbefindlichkeiten und Wohlstandsproblemen auf die weltweiten Herausforderungen – und den Zusammenhang mit unserem individuellen Verhalten erweitern können und müssen. Nur in Einzelstatements blitzte auf, dass wir zukünftig weniger konsumieren werden müssen (Referat Prof. Lorkowski), dass der Erwerb von Ernährungs- und Lebensmittel- bzw. Zubereitungskompetenz mit Arbeit verbunden ist (Statement Prof.`in Adam in der Talkrunde), vielleicht aber gerade deshalb auch sinnstiftend ist und (Genuss)-Erfahrungen vermittelt.

Die Politik tut sich naturgemäß mit diesen unbequemen Wahrheiten schwer, umso mehr ist es an der Wissenschaft, bei jeder Gelegenheit klar Stellung zu beziehen und Prioritäten herauszuarbeiten:

  • Dass ein „Mehr“ bei uns derzeit oft ein „Weniger“ in anderen Teilen der Welt bedeutet.
  • Dass während wir noch über das „Wie“ einer Lebensstiländerung (Nudging oder Ge-/Verbote) debattieren, durch unseren Lebensmittel- und Rohstoffhunger zahlreichen Menschen und ganzen Landstrichen jegliche Lebensgrundlage entzogen wird.

Diese Probleme rollen mit immer größerer Dringlichkeit auf uns zu und wir werden sie nicht mit der Verkostung von salzreduziertem Matjes-Filet lösen können.

Strategietreffen: Ernährung und Bildung für nachhaltige Entwicklung

Als wichtiger Ansatz fand daher auf Einladung von BZfE, DGE, VDD, VDOE und AGNE (Arbeitsgruppe Nachhaltige Ernährung e.V.) ein Vernetzungs- und Strategietreffen mit über 50 ExpertInnen im Rahmen der Bonner Ernährungstage statt. Die Initiative hierzu ging von der Präkonferenz „Agenda 2030: Ernährungsstrategien in Deutschland und weltweit“ auf dem diesjährigen DGE-Kongress in Gießen aus. Unter dem Motto „Ernährung und Bildung für nachhaltige Entwicklung: Gemeinsam die UN-Ziele erreichen! erstellten die Akteure des Strategietreffens ein „Commitment Paper“, welches hier zu konkretem Handeln aufruft.

Fazit

In einer „heilen“ Welt und wenn es „nur“ um die ernährungsbedingten Erkrankungen der europäischen Bevölkerung ginge, wäre das Forum in sich rund gewesen und hätte das Tagungsthema voll und kompetent erfüllt. Angesichts der nicht mehr aufschiebbaren Problematik des globalen Klimawandels, der ganz wesentlich auch durch unser Ernährungs- und Konsumverhalten getrieben wird, hätte man jedoch die globale Sicht auf das Motto Lebensstiländerung als gesellschaftliche Herausforderung ebenso konkret einbinden müssen.

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