Nachschlag: Von Marsmacht und Marktmacht zur Weihnacht

Meine bisherige Überzeugung1, dass „der Markt“ nicht alles zum Guten regelt, schon gar nicht, wenn es um soziale oder gesundheitliche Aspekte geht, gerät derzeit ins Wanken.

Was Jahre mehr oder weniger ambitionierter und von Lobbyarbeit ausgebremster Gesundheits- und Ernährungspolitik (noch) nicht hinbekamen: Durch reine Gewinnmaximierungsabsicht im „freien Kräftespiel“ von Anbietern und Listungsverhalten der Handelsketten gelang es… Das Angebot an fett- und zuckerhaltigen Riegeln und ähnlichen Waren im Einzelhandel ist derzeit deutlich reduziert! Es soll sogar schon Lücken in der „Quengelstrecke“ im Kassenbereich geben. Mit solcher Marktdynamik kommen unsere politischen EntscheiderInnen mit ihren Endlosdebatten über Werbeverbote und/ oder Zuckersteuer einfach nicht mit.
Harte Realität: Vergeblich sucht man in den Regalen die schokofettglasurumhüllte Candycreme, die bei Arbeit, Sport und Spiel „mobil macht“ oder verbrauchte Energie „sofort zurückbringt“ 2. Energie, die man braucht für die ergebnislose Suche nach den ebenfalls verschwundenen Par-boiled-Reis-Tüten und dem „Nudeln mit wenig Sauce und Kräutern-Halbfertiggericht“ des gleichen Lebensmittel-Konzerns. Nach Klopapier (Corona,1. Welle), Spielekonsolen (Schiffsstau im Suezkanal), Sonnenblumenöl (Beginn des Ukrainekriegs) und Brennholz (Fortdauer des Kriegs) werden nun also Schokoriegel & Co. knapp, weil die Preisvorstellungen von Lebensmittelkonzernen und Handelsketten zu weit auseinanderliegen.
Wird das Max-Rubner-Institut nun in seinem Produktmonitoring zur Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie3 einen positiven Public-Health-Peak verzeichnen? Wohl kaum. Denn leider fällt diese marktbedingte Zuckerreduktionsstrategie in die Lebkuchen- und Dominosteinreiche Vorweihnachtszeit und einschlägige Schokokugelhersteller schalten schon seit Wochen wie alle Jahre wieder ihre süßlichen Werbespots für noch süßere Hochpreiskonfekte. Könnte auch sein, dass die mächtigen Einzelhandelsketten die Lücken schon bald mit Eigenmarken füllen, die dann vielleicht „Merkur – bringt dich zurück auf die Spur“, „Tante Zen – Reis“ oder „Wunderli – Spaghetti mit Sauce, die sie besser selber machen könnten“ heißen. Daher befürchte ich, die von einigen Medien bereits herbeigeschriebenen positiven Auswirkungen der Schokoriegelkrise auf Geldbeutel und Unterhautfettgewebe bleiben eher gering.
Inmitten all dieser echten und herbeigeredeten Krisen wünsche ich Ihnen schöne Feiertage und Optimismus für das neue Jahr.

Ihr Udo Maid-Kohnert

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1 Interessenkonflikt: Der Autor kann nicht bestreiten in seinem Leben bereits einige der hier genannten Produkte verzehrt zu haben.
2 OK, das sind jetzt aus dem Zusammenhang gegriffene Werbeslogans der 1960er.
3 www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/gesunde-ernaehrung/reduktionsstrategie/reduktionsstrategie-produktmonitoring.html 



Den Nachschlag finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 12/2022 auf Seite M704.

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