Editorial 12/2021: Gute Entscheidungen treffen

Ein zweites Mal grätscht die Corona-Pandemie in unsere Vorfreude auf die Feiertage. Wenig ist – Stand Anfang Dezember – planbar. Und auch, was das nächste Jahr bringen mag, ist im Moment schwer abzusehen. Wie viele Mutationen des Coronavirus werden weiterhin am gesellschaftlichen Nerv und Zusammenhalt zerren? Und auch eine so harmlose Frage, wie „das Wetter“ wohl nächstes Jahr wird, ist seit der Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands noch unabsehbarer geworden.

Zu den Dingen, die man auch jetzt schon absehen kann für 2022, gehört der Arbeitsbeginn der neuen Regierung. Sie hat sich viel vorgenommen. Was davon tatsächlich erfolgreich umgesetzt werden kann, ist wiederum schwer abzuschätzen. U. a. will die neue Koalition in den nächsten Jahren auf eine nachhaltigere Landwirtschaft hinarbeiten. Auf dem Tisch ist dadurch auch wieder eine staatliche Tierhaltungskennzeichnung1, die in der alten Regierung an der Frage der Verbindlichkeit gescheitert war.
Ob wir also tatsächlich noch 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung bekommen, wie im Koalitionsvertrag2 angekündigt? Und ob sie tatsächlich für höhere Standards stehen und verpflichtend sein wird? Denn in der bisherigen Realität der Siegel und Labels auf Lebensmitteln ist ersteres keineswegs garantiert und letzteres bisher nicht durchsetzbar. Welche Label im Bereich Bio und Nachhaltigkeit wie vergeben werden und was sie aussagen, beschreibt der Fortbildungsbeitrag in diesem Heft (⇒ ab S. M712). Sie lernen u. a., dass die Einheit von Labelinhaber und Labelgeber auf einen Interessenkonflikt hindeutet, der transparent gemacht werden sollte. Gerade dies funktioniert beim 10-Minuten-Einkauf im Supermarkt allerdings eher nicht, wodurch sich für Hersteller eigentlich jedes noch so absonderliche Siegel auszahlt. Wie also damit umgehen, wenn aufgrund der Vielzahl an Labels die Recherche, welches vertrauenswürdig ist, eher den Umfang einer Bachelorarbeit annimmt?
Die durch zu viele verschiedene Informationen entstehende Unsicherheit ist ja nicht nur schon quasi ein Markenzeichen des Ernährungssektors, wir erleben sie auch gerade wieder sehr stark im Corona-Alltag: Neue Regeln lösen sich im Wochentakt ab, in jedem Bundesland, jedem Landkreis unterschiedlich. Man kann daraus folgern, dass „die da oben“ selbst nicht wissen, was sie machen. Oder, dass die Problemlagen und damit die abzuwägenden Interessen – bei der Ernährung wie bei allen großen gesellschaftlichen Herausforderungen – stets unübersichtlicher sind, als man es sich wünscht.
Damit VerbraucherInnen nicht zur ersten Schlussfolgerung neigen, sollten sie stärker dazu gebildet werden, dass sich vielschichtige Probleme nicht in einer Schlagzeile der Bild-Zeitung abbilden lassen. Dass sich nichts nur in Schwarz und Weiß einteilen lässt, sondern es immer darum geht, verschiedene Einflussfaktoren, Motive und Auswirkungen von Handlungen abzuwägen. Sei es beim Einkauf oder darin, mit wie vielen Menschen wir uns – auch ohne regierende Vorschriften – vor und an Weihnachten noch treffen in der aktuellen Hochinzidenzlage.
Mit eigenen Entscheidungen übernehmen wir immer auch Verantwortung, und die lässt sich, auch wenn es bequem wäre, weder auf Label noch auf „die Politiker“ abschieben. In diesem Sinne, treffen Sie gute Entscheidungen in den nächsten Wochen und im neuen Jahr. Die Redaktion wünscht Ihnen bis dahin (neben Gesundheit!) vor allem frohe Weihnachten!

Ihre
Sabine Schmidt

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1 Weg vom Tisch ist dagegen, hoffentlich nicht nur im Vertrag, das irreführende Wort Tierwohllabel.
2 Mehr Fortschritt wagen. Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP.



Dieses Editorial finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 12/2021 auf Seite M681.

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