NEM: Notfallbehandlungen in Zusammenhang mit Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln

Die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) ist ungebrochen, Verbraucher erwarten sich davon positive Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Jedoch sind bei unsachgemäßem Gebrauch auch gegenteilige Wirkungen möglich.

In den USA untersuchten die Centers of Disease Control and Prevention (CDC) und die Food and Drug Administration (FDA) die Anzahl an Notfallbehandlungen und Krankenhausaufenthalten, die direkt mit der Einnahme von NEM in Zusammenhang stehen. Hierfür wurden Krankenakten von 63 US-amerikanischen Krankenhäusern aus den Jahren 2004–2013 gesichtet. Es wurden 3 667 Fälle identifiziert, in denen Besuche in der Notaufnahme direkt im Zusammenhang mit NEM standen. Hochgerechnet auf alle US-Krankenhäuser entspräche dies jährlich 23 000 Notfallbehandlungen und 2 150 Krankenhausaufenthalten.

Ein Fünftel der Notfälle betraf Kinder, die unbeaufsichtigt Multivitaminpräparate, Diätmittel, Schlafmittel oder Anxiolytika (Angstlöser, „Beruhigungsmittel“) zu sich genommen hatten. 28 % der Notfälle betrafen junge Erwachsene (20–34 Jahre). Rechnet man die Notfälle durch unbeabsichtigte Aufnahme von NEM durch Kinder heraus, waren Kräuterpräparate und andere NEM für 66 % der Notfallbehandlungen verantwortlich, Mikronährstoffpräparate für 32 %. Bei ersteren führten insbesondere Diät- und Energiemittel zu Notfallbehandlungen. Sie bewirkten kardiale Symptome wie Palpitationen (spürbares „Herzklopfen“), Brustschmerzen und Tachykardie.

Die Analyse zeigte auch geschlechtsspezifische Unterschiede: Bei Frauen machten fast doppelt so häufig Diätmittel den Weg in die Notaufnahme notwendig (30 % vs. 18 %), während Potenz- und Bodybuilding-Produkte fast ausschließlich bei Männern zu Notfällen führten (14 % aller männlichen Notaufnahme-Patienten). Im Gegensatz dazu fand sich die höchste Rate an stationären Krankenhausaufenthalten bei über 65-Jährigen; häufig wegen Kalziumpräparaten und Mitteln zur Steigerung der kardiovaskulären Gesundheit. Die Hauptursachen einer Notfallbehandlung waren bei ihnen Verschlucken und durch Tabletten verursachte Dysphagie oder Globus-(Fremdkörper-)gefühl.

Situation in Deutschland
Die Studie stammt zwar aus den USA, doch auch in Deutschland erfreuen sich NEM ungebrochener Beliebtheit. Im Rahmen der Nationalen Verzehrsstudie (NVS) II gaben 27,6 % der befragten Personen an, Supplemente zu nehmen – in der Mehrheit Frauen (60,2 %). Bei den Älteren sind es sogar deutlich mehr: Mehr als jede zweite Frau und jeder dritte Mann über 64 Jahre nimmt ergänzend Vitamine, Mineralstoffe oder sonstige Zusatzstoffe. Die Bestseller hierzulande sind Magnesiumpräparate, Multivitamine mit Mineralstoffen für Schwangere, Vitamin-B-Kombinationen und Kalziumpräparate.

Nicht angegebene Inhaltsstoffe
Immer wieder tauchen auch Berichte über Verunreinigungen und verbotene Zusätze in NEM auf: Egal, ob Sibutramin oder Amphetamine in Schlankheitsmitteln, anabole Steroide in Fitnessprodukten oder Sildenafil in angeblich natürlichen Kräuterextrakten zur Potenzsteigerung – nicht nur bei Produkten aus Fernost stimmen Inhaltsangaben nicht immer mit tatsächlichen Inhalten überein. Die FDA hat jüngst Konsumenten erneut davor gewarnt, dass Produkte, die als so wirksam wie ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel beworben werden, wahrscheinlich mit eben solchen Arzneimitteln kontaminiert sind. Ein weiteres Problem bei undeklarierten Wirkstoffen sind dementsprechend potenziell gefährliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.

Überwachung von NEM
Wie auch in den USA gelten NEM hierzulande nicht als Arznei-, sondern als Lebensmittel und fallen daher unter die Regelungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs. Seit 2004 sind erlaubte Vitamine und Mineralstoffe im Anhang zur Nahrungsergänzungsmittelverordnung aufgeführt – für sonstige Stoffe wie Pflanzenextrakte gibt es bisher keine Bestimmungen. Auch verbindliche Regelungen zu Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe finden sich weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene. Zudem müssen NEM in Deutschland lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit registriert werden, für die Sicherheit der Produkte sind allein die Hersteller und Vertreiber zuständig. Die Überwachung der auf dem Markt befindlichen Produkte erfolgt stichprobenartig und ist Ländersache. Da NEM den Lebensmitteln zugeordnet werden, dürfen sie nicht dazu bestimmt sein, Krankheiten zu heilen oder zu verhüten. Welche Werbeaussagen erlaubt sind, ist in der Health Claims-Verordnung geregelt – was aber viele Hersteller nicht davon abhält zu suggerieren, ihre Produkte seien so wirksam wie Medikamente.

Literatur:
1. Geller AI et al. (2015) Emergency department visits for adverse events related to dietary supplements. N Engl J Med [doi: 10.1056/NEJMsa1504267]

Quelle: DocCheck Newsletter, Pressemeldung vom 10.11.2015: Nahrungsergänzung: Mittel mit 112-Effekt (Annukka Aho-Ritter)

=> Zum Risiko einer überhöhten Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen durch NEM in Deutschland lesen Sie auch den Beitrag von Willers et al. in Ernährungs Umschau 10/2015 ab S. 162. 


Den Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 01/16 auf Seite M10.

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