Festsymposium: 60 Jahre Ernährungswissenschaft in Gießen

Mit der ersten Professur für menschliche Ernährungslehre (Prof. Hans-Dietrich Cremer) wurde 1956 an der Universität Gießen der Grundstein für ernährungswissenschaftliche Forschung gelegt. Am 2.11.2016 veranstaltete das heutige Institut für Ernährungswissenschaft aus diesem Anlass ein Symposium.

Die geschäftsführende Direktorin Prof. Monika NEUHÄUSER-BERTHOLD konnte rund 250 Teilnehmer begrüßen, darunter erfreulich viele Studierende. Sie gab einen historischen Abriss der Institutsentwicklung1 . Der 1964 gestartete Diplomstudiengang Ökotrophologie hatte 72 Studierende, im aktuellen Wintersemester kann das Institut über 500 Neueinschreibungen verzeichnen. Zusammen mit der am Fachbereich für Veterinärmedizin angesiedelten Professur für Pathophysiologie des Stoffwechsels und Ernährungsmedizin und den für 2018 geplanten Professuren für Nutrigenomics sowie für Biofunktionalität der Lebensmittel ist die Ernährungswissenschaft mit 8 Professuren gut aufgestellt. Der Dekan des Fachbereichs, Prof. Klaus EDER, und die Vizepräsidentin der Universität, Prof. Verena DOLLE, wiesen in ihren Grußworten auf die historische (z. B. Justus Von LIEBIG) und aktuelle Bedeutung der Ernährungswissenschaft für die Universität hin.

Die Fachvorträge wurden ausnahmslos von „ehemaligen Gießenern“ bestritten: Prof. Claus LEITZMANN zeigte in seinem historischen Abriss, dass Ernährungsforschung kein kontinuierlicher Prozess der Wahrheitsfindung, sondern (auch) von Moden und politischen Rahmenbedingungen geprägt und für voreilige und interessengeleitete Fehlschlüsse anfällig ist.

Prof. Bernhard WATZL vom Max Rubner-Institut in Karlsruhe schilderte den Ansatz eines Benefit-Assessments von Lebensmittel(inhaltsstoffen) als Entsprechung zum bereits etablierten Risk-Assessment. Hier bestehe noch erheblicher Forschungsbedarf, um geeignete Biomarker und aussagekräftige Bewertungssysteme zu etablieren, denn „die Politik wünscht Aussagen zu Verzehrempfehlungen zu konkreten Lebensmittelgruppen“.

Prof. Ibrahim ELMADFA machte deutlich, dass Meilensteine in der Ernährungsforschung immer auch an die Weiterentwicklung der analytischen Methodik gekoppelt waren und sind. Die Beispiele reichen von der Röntgenstrukturanalyse zur Strukturaufklärung der Vitamine bis hin zu Nanotechnologie zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Wirkstoffen. Als zwei aktuelle Herausforderungen nannte er die Ableitung von Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr für Kranke und die Erforschung des latenten Mikronährstoffmangels – weltweit, aber auch in bestimmten Bevölkerungsgruppen der Industrieländer.

Prof. Irmgard BITSCH beschrieb zwei Ansätze zur lebensmittelchemischen Analyse der Wirkung von sekundären Pflanzenstoffen auf den Metabolismus. Am Beispiel der Extrakte/Saftinhaltsstoffe verschiedener Apfelsorten machte sie deren unterschiedliche Auswirkungen auf den Harnsäurestoffwechsel deutlich.

Prof. Georg LIETZ, Newcastle, stellte Untersuchungen zum Vitamin-A-Status verschiedener Bevölkerungsgruppen vor: Um das Ausmaß der geschlechtsspezifischen und individuellen genetischen Varianz zu ermitteln, diente ein Ansatz mit 13C-markiertem Carotin. Dabei wurden große individuelle Unterschiede im zeitlichen Ablauf der ersten Umsatzreaktionen vom Provitamin zum Vitamin deutlich.

1 Mehr zur historischen Situation der Ernährungswissenschaft in der Nachkriegszeit im Beitrag von HESEKER und JOOST in Ernährungs Umschau Heft 11/2016.



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 12/16 auf Seite M685.

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