Bericht vom SNFS-Dialog: Mangelernährung bei Essstörungen und im Alter

(scs) Thema des diesjährigen SNFS-Dialogs der Society of Nutrition and Food Science im September (online) war die Mangelernährung, bei älteren und kranken Menschen wie auch bei von Essstörungen Betroffenen.

Mangelernährung aufgrund von Essstörungen
Fast 20 % der 11- bis 13-jährigen und mehr als 30 % der 14- bis 17-jährigen Mädchen zeigen Symptome für Essstörungen, berichtete Prof. Nanette Ströbele-Benschop. Mädchen und junge Frauen sind damit fast doppelt so häufig von gestörtem Essverhalten als Risikofaktor für eine Essstörung betroffen wie Jungen und junge Männer (Zahlen aus der KiGGS-Studie Welle 2).
Als Einflussfaktoren auf die Entwicklung einer Essstörung stellte die Psychologin neben genetischer Veranlagung soziale Unsicherheiten im persönlichen Bereich, einen hohen Leistungsanspruch an sich selbst, Probleme, mit negativen Emotionen umzugehen, sowie Perfektionismus bei gleichzeitig geringem Selbstwertgefühl vor. Familiäre Einflussfaktoren seien eine starke Orientierung der Eltern an Schlankheit und Leistung sowie geringe, aber auch zu stark ausgeprägte, übergriffige elterliche Unterstützung.
Soziokulturelle Einflussfaktoren, so berichtete Ströbele-Benschop weiter, können v. a. bei jungen Frauen Diäten und die große Angst vor Gewichtszunahme sein, bei beiden Geschlechtern ein verzerrtes Körperbild in der Gesellschaft sowie die Einflüsse sozialer Medien. Vor allem bei jungen Männern spielt in Bezug auf das verzerrte Körperbild zunehmend die Muskeldysmorphie („Adonis-Komplex“) eine Rolle, die pathologische Beschäftigung mit der eigenen Muskularität. Symptome sind extremes Körpertraining mit rigidem Diäthalten und die konstante Beschäftigung mit dem eigenen Körper. Daten zur Prävalenz lägen noch nicht vor. Risikogruppen sind laut der Referentin neben jungen Männern im Allgemeinen v. a. Bodybuilder, aber auch Militärpersonal. Das Problem liegt in einer möglichen Mangelernährung durch extreme Diäten und den Verzicht auf Kohlenhydrate, aber auch in der verbreiteten Einnahme von Supplementen und z. T. von Steroiden.
Welchen Einfluss Internet und soziale Medien auf das Verhalten der Menschen nehmen, wird seit Jahren viel diskutiert. Der Umfang und die Häufigkeit der Nutzung sozialer Medien korrelieren auch mit Essstörungssymptomen. Als Faktoren des Medienkonsums, die für den stärker werdenden Einfluss auf Selbst- und Körperbild verantwortlich sind, nannte Ströbele-Benschop u. a. die Abhängigkeit der Inhalte vom eigenen Nutzungsverhalten, die Kombination von Peer Feedback und Media Influences, das Zusammenführen von Gruppen mit ähnlichen Interessen und die Einflechtung von Werbung.

Mangelernährung bei älteren Menschen
Zur Mangelernährung bei älteren Menschen zeigte Dr. Lindsay Otten anschaulich, dass die bereits seit Jahren bekannten Probleme weiter bestehen. 28 % der PatientInnen in Krankenhäusern, 17,5 % in Pflegeeinrichtungen und 8,5 % der zuhause lebenden über 65-Jährigen weisen im europäischen Mittel eine Mangelernährung auf (Leij-Halfwerk et al., Maturitas 2019). Otten wies darauf hin, dass jüngere Menschen nach einer Periode hypokalorischer Diät die Energieverluste wieder ausgleichen können, wenn sie wieder ad libitum essen. Alterungsprozesse sorgen jedoch dafür, dass dieser Mechanismus bei alten Menschen nicht mehr funktioniert, diese also eine zu geringe Energiezufuhr weder kurz- noch langfristig angemessen ausgleichen.
Die sog. Altersanorexie, bedingt u. a. durch sinkenden Appetit, reduzierte Darmaktivität, aber auch Faktoren wie Einsamkeit, Armut und Einschränkungen in der Selbstversorgungsfähigkeit, setze daher eine Kaskade von Auswirkungen der Mangelernährung mit negativem Outcome in Gang. Zur Verbesserung der Situation bedürfe es v. a. eines größeren Bewusstseins, implementierter Screening-Maßnahmen und nicht zuletzt einer fest angestellten und ausreichend verfügbaren Ernährungsfachkraft in Kliniken und Einrichtungen.
Einen tieferen Einblick in die praktische Arbeit einer Ernährungsfachkraft, die mangelernährte PatientInnen betreut, gewährte zum Abschluss Kerstin Bernhardt, Ernährungstherapeutin in eigener Praxis. Die ERNÄHRUNGS UMSCHAU wird ihre Ausführungen im nächsten Jahr aufgreifen.

Strobele C et al.: Muskeldysmorphie. Zwanghaftes Streben nach einem muskulösen Körper. Ernährungs Umschau 2020; 67(12): M702ff.

Zur Prävention von Essstörungen in Schulen liegen die Programme PriMa: Primärprävention von Magersucht (für Mädchen in der 6. Klasse) sowie Torera: „Kampf dem Stier“ (für Mädchen und Jungen der 7. Klasse) vor.
→ www.uniklinikum-jena.de/mpsy/Forschung/Abgeschlossene+Projekte/BMBF_+Essst%C3%B6rungen/PriMa+_+Co-p-812.html



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 12/2022 auf Seite 646.

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