Eine repräsentative Erhebung zeigt, dass seit Beginn der Ausgangseinschränkungen mehr als ein Drittel der Studienteilnehmenden häufiger Alkohol konsumiert. © kieferpix/iStock/GettyImages

Corona-Pandemie: Zunahme an Suchterkrankungen während des Lockdowns

  • 14.04.2021
  • News
  • Anna Sidorenko

Wie bereits aus früheren Epidemien bekannt ist, kann Stress durch massive Einschränkungen sozialer Begegnungen riskanten Alkohol- und Tabakkonsum sowie Suchtverhalten fördern. Diese Gefahr besteht auch in der aktuellen Corona-Pandemie. Das zeigt eine Studie zur Veränderung der Alkohol- und Tabakkonsumgewohnheiten während des Lockdowns, die vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim und der Universitätsklinik Nürnberg durchgeführt wurde.

Während des Lockdowns entsteht eine Situation, in der für manche Menschen subjektiv mehr Gründe für einen vermehrten Alkohol- oder Tabakkonsum sprechen als dagegen. Dem aktuellen Consumer Panel der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zufolge sind die Umsätze aus Alkoholverkäufen an Privatpersonen am Beginn der Pandemie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 6,1 % gestiegen. Bereits zu Beginn des fast weltweiten Lockdowns warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor einem erhöhten Alkoholkonsum, der in der sozialen Isolation drohen könnte. Der Konsum von Alkohol ist in Zeiten persönlicher, aber auch gesellschaftlicher Krisen ein bei vielen Menschen gelernter Bewältigungsmechanismus, da er Ängste und Sorgen beim Konsum abmildern und beruhigen kann. Auch für den Tabakgebrauch sind ähnliche Mechanismen von Bedeutung. Aufgrund des Abhängigkeitspotenzials von Alkohol und Tabak besteht jedoch die Gefahr, dass aus einem länger andauernden erhöhten Konsum während der Isolation im Lockdown eine Gewohnheit entsteht, die nach dessen Ende nicht mehr zurückgefahren werden kann, und sich eine Abhängigkeit entwickelt.

Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg und die Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim führten im April 2020 eine anonyme Online-Befragung zur Veränderung unter anderem der Alkohol- und Tabakkonsumgewohnheiten in der Allgemeinbevölkerung während des Lockdowns durch. An der Studie nahmen 1929 Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 80 Jahren teil.

Die Ergebnisse der Umfrage zeigten, dass deutlich mehr als ein Drittel (37,4 %) der Befragten angaben, seit dem Lockdown mehr Alkohol zu konsumieren. 61 Personen gaben einen etwas höheren und 161 Personen gaben einen viel höheren Alkoholkonsum seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen an. Von den 28 % der Personen, die Tabak konsumieren, liegen Informationen zu Veränderungen des Tabakkonsums vor: Rund 43% dieser Studienteilnehmenden konsumieren mehr Tabak als zuvor.

Diese Ergebnisse der ersten Befragung der Allgemeinbevölkerung in Deutschland zu ihrem Konsumverhalten zeigen, dass seit Beginn der Ausgangseinschränkungen ein nicht unerheblicher Anteil der Studienteilnehmenden mehr trinkt und/oder mehr raucht als zuvor. Der erhöhte Alkoholkonsum spricht dafür, dass die im aktuellen Consumer Panel der GfK gefundene Umsatzsteigerung im Bereich der alkoholischen Getränke nicht durch Vorratshaltung, sondern durch einen in Teilen der Bevölkerung vermehrten Alkoholkonsum hervorgerufen wurde.

Personen, die ihre Tagesstruktur weitgehend durch die berufliche Beschäftigung beibehalten konnten, scheinen weniger betroffen zu sein von einem erhöhten Alkohol- oder Tabakkonsum. Hingegen scheinen besonders diejenigen Personen gefährdet zu sein, die bereits vor Beginn der Ausgangseinschränkungen regelmäßig Alkohol konsumiert haben. Weiterhin zeigten Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status ein erhöhtes Risiko sowohl für einen vermehrten Alkohol- als auch Tabakkonsum. Gleichzeitig führe ein erhöhter Alkoholkonsum auch selbst zu Veränderungen in der neuroendokrinen Stressantwort mit Dysregulation der Cortisolausschüttung und Defiziten in der Emotionsregulation.

Aufgrund der Zunahme von Suchterkrankungen und psychischen Erkrankungen während der Pandemie ist die Suche nach einem Therapieplatz mehr als nur schwierig. Es gibt monatelange Wartezeiten. Daher sei es wichtig, über Risiken und mögliche Langzeitfolgen zu informieren sowie niederschwellige medizinische und soziale Hilfsangebote bereits während der Akutphase der Corona-Pandemie aufzubauen, schlussfolgern die AutorInnen der Studie. Lesen Sie hierzu auch den in ERNÄHRUNGS UMSCHAU Heft 12/2020 erschienenen Beitrag „Corona-Pandemie: Mehr psychische Belastungen und Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen.“

Quellen:
Deutsches Ärzteblatt: Die COVID-19-Pandemie als idealer Nährboden für Süchte. Medizinreport vom 19. Juni 2020
ZDF: Psyche in Not: Das lange Warten auf einen Therapieplatz. Pressemeldung vom 07.04.2021 (last accessed on 12 April 2021).

 

 

 

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